© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

Still und heimlich
Euro-Krise: Die Bundesregierung versucht die Öffentlichkeit davon abzulenken, daß Griechenland bald wieder finanzielle Hilfe braucht
Paul Rosen

Schulden sind lästig und schwer loszuwerden. Eine Ausnahme wird nur dann erreicht, wenn der Schuldner im Verhältnis zu seinen Gläubigern zu mächtig oder zu wichtig ist. Genau das ist in Griechenland derzeit der Fall. Nachdem deutsche und europäische Politiker mit Bundeskanzlerin Angela Merkel an der Spitze noch im April dieses Jahres das hohe Lied von der Genesung des griechischen Patienten gesungen hatten, darf dieser jetzt nicht sterben. Griechenland, dem im Januar 2015 erneut die Zahlungsunfähigkeit droht, muß wieder gerettet werden. Das soll diesmal so unauffällig geschehen, daß die deutsche Öffentlichkeit nichts merkt.

Die Öffentlichkeit wird schon länger geblendet: Der griechische Finanzminister Ioannis Stournaras stellte noch am 8. Februar 2014 in der Frankfurter Allgemeinen fest: „Wir haben genug Geld.“ Ministerpräsident Antonis Samaras ließ damals wissen, Griechenland habe 2013 einen Primärüberschuß im Staatshaushalt von über einer Milliarde Euro erzielt. Als Merkel im April dieses Jahres Athen besuchte, griff sie den Ball gerne auf und lobte die angeblichen Fortschritte Griechenlands bei der Umsetzung der von der internationalen Troika verordneten Reformen.

Nicht einmal das Tempo wurde gebremst

Tatsächlich war es dem Land gelungen, eine kleine Staatsanleihe von drei Milliarden Euro Volumen und mit knapp fünfprozentiger Verzinsung auf dem Kapitalmarkt unterzubringen, nachdem Griechenland jahrelang kein Geld mehr leihen konnte. Eine „neue Lust auf Griechenland“ stellte das Handelsblatt schnell fest, und aus der Koalition tönte es: „Der Patient lebt.“ Merkel sprach von „Rückkehr zu mehr Selbständigkeit“, und in Berlin jubelte das Finanzministerium von Wolfgang Schäuble (CDU), „die ersten Früchte“ der griechischen Reformen seien erkennbar. Samaras überschlug sich mit Siegesmeldungen: „Griechenland hat es geschafft.“

Stimmt nicht. Nicht einmal das Tempo des Absturzes wurde gebremst. Griechische Staatsanleihen haben inzwischen wieder ein Zinsniveau von fast acht Prozent erreicht. Damit ist die Rückkehr auf den Kapitalmarkt ausgeschlossen. Eigentlich wäre ein weiteres Hilfspaket fällig, da das letzte Paket Ende 2014 ausläuft. Doch gegen ein neues Paket gibt es wegen der damit verbundenen Auflagen Widerstände in Griechenland. Auch in Deutschland regt sich Protest – bisher nur bei den bekannten Kritikern. Peter Ramsauer (CSU) ließ via Bild wissen: „Es darf kein drittes Hilfspaket geben.“ Euro-Kritiker Klaus-Peter Willsch (CDU) sagte, es sei „völlig ausgeschlossen“, daß Athen die Schulden jemals zurückzahlen werde.

Das wissen natürlich auch die amtlichen Euro-Retter und üben sich in höchster Formulierungskunst, zumal die Angst umgeht, die außerparlamentarische Opposition in Form der Alternative für Deutschland (AfD) könnte aus einem weiteren Griechenland-Paket innenpolitische Vorteile ziehen. In Berichten aus Brüssel ist davon die Rede, Athen in Form einer „vorbeugenden Kreditlinie“ eine Art Finanzpolster bereitzustellen, auf das notfalls zurückgegriffen werden könne. Die Süddeutsche Zeitung schrieb von „Notkrediten“. Deutlicher formulierte der niederländische Eurogruppen-Vorsitzende Jeroen Dijsselbloem, der schon die Teilenteignung von Sparern in Zypern als Blaupause für die restliche Europäische Union bezeichnet hatte. Jetzt werde daran gearbeitet, wie die Bedingungen für die Griechenland-Hilfe gestaltet würden und wie groß ihr Umfang sei. Dijsselbloem sagte, es sei wichtig, daß es keine zeitliche Lücke zwischen alten und neuen Hilfsmaßnahmen für das Land gebe. Damit ist klar: Ab dem 1. Januar 2015 werden die Zahlungen an Griechenland fortgesetzt, wie auch immer sie dann bezeichnet werden.

Denn das Land ist pleite, der Patient faktisch tot. 320 Milliarden Euro Staatsschulden bei einer Jahreswirtschaftsleistung von 180 Milliarden Euro können niemals mehr zurückgezahlt werden. Sämtliche Hilfsprogramme waren nur ein Strohfeuer. Das wird deutlich, wenn die Schulden ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt gesetzt werden: Ende 2011 hatte das Land einen Schuldenstand von 170,3 Prozent. Durch Hilfsmaßnahmen und Schuldenschnitt reduzierte sich die Staatsverschuldung bis Ende 2012 auf 156,9 Prozent. Und stieg bis zum 3. Quartal 2013 wieder auf 171,8 Prozent an, um am Ende des Jahres 2013 trotz inzwischen geänderter Berechnungsmethode 175 Prozent zu erreichen.

Der Tag des Schuldenerlasses von 100 Prozent wird kommen. Dagegen helfen weder Notkredite noch Finanzpolster. Doch diese Wahrheit mag die Bundesregierung dem Volk nicht zumuten.

Foto: Vor dem Berliner Reichstag wehen die Flaggen Griechenlands und Deutschlands: Der Tag des Schuldenerlasses wird kommen

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