© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

Die Erlebnisgeneration tritt ab
Neuer Präsident: Mit dem Wechsel von Erika Steinbach zu Bernd Fabritius beginnt für den Bund der Vertriebenen eine neue Zeitrechnung
Ekkehard Schultz

Der Generationswechsel an der Spitze des Bundes der Vertriebenen (BdV)ist vollzogen. Am vergangenen Freitag wählte die Bundesversammlung des BdV in Berlin den 49 Jahre alten Bernd Fabritius (CSU) zum Nachfolger von Erika Steinbach. Über 16 Jahre lang hatte die 71 Jahre alte CDU-Bundestagsabgeordnete den Verband geführt.

Unter ihrer Ägide wurde mit der 2000 gegründeten Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen ein wichtiger Schritt auf dem Weg unternommen, das historische und kulturelle Erbe der rund 15 Millionen deutschen Heimatvertriebenen im nationalen und internationalem Gedächtnis zu verankern. Dabei stießen Steinbachs Pläne insbesondere in Polen und Tschechien, wie auch in Teilen der deutschen Öffentlichkeit, auf teilweise erbitterten Widerstand. Dies zeigte sich nicht nur bei den zahlreichen Versuchen, den Einfluß des BdV in der unter dem Dach des Deutschen Historischen Museums verankerten Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung zu beschneiden. Zudem wurde immer wieder versucht, den Vertriebenenverband zu einer längst überholten Einrichtung mit einer dunklen Vergangenheit und stark geschönten Mitgliederzahlen zu stempeln. Gleichzeitig erhielt Steinbach selbst aus ihrer eigenen Partei häufig nicht die notwendige Unterstützung. Nach wiederholten Anfeindungen hatte Steinbach daher im Juli angekündigt, nicht mehr für den Vorsitz zu kandidieren.

Nun gibt also künftig der 1965 im rumänischen Agnetheln geborene Siebenbürger Sachse Fabritius den Ton im BdV an. Wie viele seiner Landsleute wanderte auch Fabritius, der seit 2013 dem Bundestag angehört, nach seinem Abitur am deutschen Gymnasium in Hermannstadt (Sibiu) mit seiner Familie in die Bundesrepublik Deutschland aus. Nach einem Studium der Sozialverwaltung und der Politikwissenschaft absolvierte er in München ein Jurastudium; seit mehr als einem Jahrzehnt ist als Rechtsanwalt tätig.

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist Fabritius der erste BdV-Präsident, der nicht mehr der Erlebnisgeneration angehört. In diesem Sinne wird der Wechsel zu Fabritius, der seit 2007 an der Spitze der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen steht und seit 2010 als Vizepräsident des BdV amtierte, von vielen Beobachtern als „mutiges Signal in die Zukunft“ interpretiert. Dem 49jährigen wird zugetraut, durch sein moderates und kompromißbereites Auftreten die europäische Versöhnung weiter voranzutreiben. Kritiker fürchten dagegen, der BdV könne sein unter der Ägide Steinbachs geschärftes Profil einbüßen.

Fabritius hatte bereits vor seiner Wahl in einem Interview mit der Welt angekündigt, nicht nur „den Erinnerungstransfer in die Zukunft“ als zentrale Aufgabe des BdV in den kommenden Jahren zu betrachten. Vielmehr müsse sich der Verband neben den Heimatvertriebenen auch „für die Heimatverbliebenen“ verantwortlich fühlen. Die Vertreibung allein könne nicht mehr die einzige Klammer des Bundes darstellen, so Fabritius und kündigte ein stärkeres Engagement für die deutschen Minderheiten in den Herkunftsgebieten an.

Erstmals Politiker der Grünen im Präsidium

Gleichwohl gelte es jedoch auch weiterhin, den Weg der vergangenen Jahre zu verfolgen: „Es geht um die Verankerung auch unseres Schicksals in der Gesamtbiographie unseres Volkes, und es geht darum, derartiges Unrecht auch künftig zu verhindern. Vertreibungen gilt es schon im Ansatz zu bekämpfen und zu verhindern, das gilt heute mehr denn je“, betonte Fabritius.

Bei der Neuwahl des BdV-Präsidiums fällt besonders auf, daß diesem mit dem tschechisch-deutschen Bürgerrechtler Milan Horáček erstmals ein Grünen-Politiker angehören wird. Horáček zählt zu den Gründungsmitgliedern dieser Partei und saß als deren Abgeordneter seit 1983 im Bundestag sowie zwischen 2004 und 2009 im Europaparlament. Im Juni war er von der Sudetendeutschen Landsmannschaft mit dem Europäischen Karlspreis ausgezeichnet worden.

Neben Horáček wird unter anderem auch der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer (CSU), sowie der thüringische Landtagsabgeordnete Egon Primas (CDU) dem neuen BdV-Präsidium angehören. Kraft ihres Amtes sitzen zudem die Präsidentin des Frauenverbandes im BdV, Maria Werthan, und der Präsident des Bauernverbandes der Vertriebenen, Christian Walter, im Präsidium.

Der BdV setzt große Hoffnung in den Generationswechsel im BdV-Präsidium. Denn nur so könne sichergestellt werden, daß das Erbe der Heimatvertriebenen nicht mit dem Ausscheiden der „Erlebnisgeneration“ in Vergessenheit gerate, sondern weitergegeben werde.

Kommentar Seite 2

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