© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/14 / 07. November 2014

Teil der Staatsdoktrin
Joachim Gauck äußert sich skeptisch zur Linkspartei
Thorsten Hinz

Bundespräsident Joachim Gauck hat sich kritisch zu einem möglichen Ministerpräsidenten aus den Reihen der Linkspartei geäußert. Damit hat er keineswegs die Wähler beschimpft, die in Thüringen die Linkspartei zur zweitstärksten Kraft im Landtag gemacht haben, sondern er hat die geistig-moralische und politische Befähigung der Linkspartei nachgefragt, den Landeschef zu stellen. Seine Generation, welche die Unterdrückung durch die SED erlebt habe, sei da skeptisch. Eine verständliche Haltung, der Gauck dezent Ausdruck verliehen hat. Schließlich stammt die Linkspartei in direkter Linie von der SED ab, jener Partei, welche die Einsperrung einer ganzen Bevölkerung und die Mauertoten zu verantworten hat.

Die Anreicherung der Linken mit Westpersonal hat nur die Zahl der Sektierer und Fanatiker in ihren Reihen vermehrt. Der Kirchenhistoriker Gerhard Besier, der für die Linkspartei im sächsischen Landtag saß, schrieb ihr bei seinem Rückzug ins Stammbuch, daß das Niveau der meisten Abgeordneten katastrophal sei und sie nur die Wahl hätten, sich entweder an das Mandat zu klammern oder Hartz IV zu beantragen. In Thüringen dürfte die Situation kaum besser sein. Doch solche Argumente dringen nicht durch. Der Durchmarsch der Linken erfolgt auf der Basis des antifaschistischen Konsenses, der den Staat durchdringt und dem auch Gauck in anderen Zusammenhängen huldigt.

Am Ende eint ihn das mit den Linkspolitikern, die auf Vorhalt erwidern, der Unterschied zwischen dem Dritten Reich und der DDR entspreche dem zwischen Leichen- und Aktenbergen. Man könnte einwenden, daß die DDR an der kurzen Leine Moskaus lag und das Verdienst der SED lediglich darin bestand, daß zu ihrer Zeit der Höhepunkt des stalinistischen Terrors überschritten war. Als er in den 1920er und 1930er Jahren ungehemmt tobte und Millionen Menschen ins Grab brachte, proklamierte die KPD die Treue zur Sowjetunion als Ehrenpflicht. Das ist Teil des antifaschistischen Erbes, mit dem es der Linkspartei gelingt, sich als demokratisch zu legitimieren, obwohl es sie in geistig-moralische Mithaftung für den Stalinismus zwingt.

Für solche Komplexität fehlen im geschichtslosen Land die Antennen. Als Gauck vor Monaten die NPD eine Ansammlung von „Spinnern“ nannte, sprangen ihm Politiker und Medien einstimmig bei. Jetzt erhebt sich beträchtlicher Gegenwind. Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung nennt Gaucks Einlassungen „befremdlich“ und meint, „ein großes Stück mehr Einheit wird dann da sein, wenn eines Tages auf Länderebene nicht mehr nur die SPD, sondern auch die CDU mit der Partei Die Linke koaliert“.

Im Sinne der Staatsdoktrin, die auf einem mythischen, ahistorischen Verständnis von der NS-Zeit gründet, stimmt das sogar. Seitdem das Bundesverfassungsgericht im Wunsiedel-Urteil 2009 das Grundgesetz als expliziten Gegenentwurf zum Nationalsozialismus definierte, darf die Linke sich in die Reihen seiner Vorkämpfer aufgenommen fühlen. Denn „dagegen“ waren ihre stalinistischen Vorläufer auf jeden Fall. Das verleiht ihr heute den Anspruch, daß für sie etwas abfällt. Zum Beispiel der Posten eines Ministerpräsidenten.

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