© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/14 / 07. November 2014

Der Marx für das 21. Jahrhundert liegt vor
Einkommensunterschiede: Thomas Piketty glaubt die Ursache für die Schere zwischen Arm und Reich zu kennen – und unterliegt dabei Denkfehlern
Felix Dirsch

Thomas Piketty, der aus Frankreich stammende Senkrechtstarter unter den europäischen Wirtschaftswissenschaftlern, steht überall im Rampenlicht. Schon bevor die deutsche Übersetzung des schwer lesbaren Bestsellers „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ am 23. Oktober erschienen ist, kamen hierzulande drei kommentierende Studien auf den Buchmarkt.

Ziel von Pikettys Untersuchung ist es, die wachsenden Einkommensunterschiede zu analysieren. Dazu bedient sich der linke Pariser Ökonom einer umstrittenen Weltformel: r > g. Demnach wächst die Kapitalrendite (r wie englisch return) seit rund vierzig Jahren stärker als das ökonomische Wachstum (g wie englisch growth). Üblicherweise geschieht dieser Trend vor dem Hintergrund eines schwach ausgeprägten Wirtschaftswachstums. Die Gesellschaft driftet somit auseinander.

Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht der Zeitraum der letzten gut einhundert Jahre. Der 43jährige Gelehrte will nachweisen, daß die Vermögensverteilung im späten 19. Jahrhundert derjenigen von heute ähnlich ist.

Doch dann wirkten die Weltkriege als Gleichmacher: Die Vermögensschere schloß sich zunächst, ehe die 1970er Jahre eine erneute Umkehrung brachten. Zu den diversen Einwänden der Fachwelt zählt, daß der Pariser Ökonomieprofessor den Schuldenmechanismus unberücksichtigt gelassen hat. Zudem meinen manche im Unterschied zu Piketty, auch die Rentiers seien stärker von höherem Wirtschaftswachstum abhängig, als der Autor wahrhaben wolle. Andere behaupten, Piketty lasse die „Genesis der Kapitalakkumulation“ (Luis Pazos) außer acht.

Wie dem auch sei: Piketty, der scheinbar akribische Arbeiter an Statistiken, ist in der Praxis ein würdiger Hollande-Anhänger. Das Kapital kann ihm gar nicht hoch genug besteuert werden. Die Kernthesen des Buches zeigen, daß Skepsis gegenüber Armutsforschern nicht nur in Deutschland angesagt ist.

Thomas Piketty: Das Kapital im 21. Jahrhundert. C. H. Beck, München 2014, gebunden, 816 Seiten, 29,95 Euro

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