© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/14 / 07. November 2014

Nur eine Frage der Zeit
Korea: Die Einheit des Landes scheint ferner denn je, dennoch gibt der Süden gibt nicht auf
Albrecht Rothacher

Kein Land der Welt verfolgte Ablauf, Folgen und Kosten der Wiedervereinigung Deutschlands so leidenschaftlich wie Südkorea. Bereits im Vorfeld hatten dessen Regierung, einschlägige Denkfabriken und der Geheimdienst alle Szenarien der Wiedervereinigung gründlich durchgerechnet. Um sich trotz der feindseligen Diktatur des Nordens soweit wie möglich vorzubereiten, führen aus dem Süden bis direkt an die minenfeldbewehrte Demarkationslinie die Trassen einer Hochleistungseisenbahn sowie eine sechsspurige Autobahn. Zehn Kilometer dahinter befindet sich die mit südkoreanischem Kapital errichtete Sonderwirtschaftszone Kaesong, in der Zehntausende Nordkoreaner für südkoreanische Firmen werken. Den Löwenanteil der Löhne streicht das Regime ein. Doch hofft Seoul, daß sich so ansatzweise die Methoden modernen Wirtschaftens im Norden verbreiten könnten.

Allenthalben kehrte im Süden trotz ultrapatriotischer Begeisterungsfähigkeit der Koreaner Ernüchterung ein. Die „Sonnenscheinpolitik“ von Ex-Präsident Kim Dae-jung von Vor- ohne Gegenleistungen gilt angesichts der Repressions- und nuklearen Aufrüstungspolitik Pjöngjangs als gescheitert.

Viele Nordkoreaner lassen sich nur schwer integrieren

Noch schlimmer wirken emotional die Schicksale der mittlerweile zehntausend aus dem Norden über China und Vietnam geflüchteten Nordkoreaner im Süden. Sie erhalten großzügige Übergangs- und Ausbildungshilfen. Doch die meisten, obwohl sie sicherlich zu den mutigsten und unternehmungslustigsten Bürgern des Nordens zählten, schaffen es nicht, sich aus dem unproduktiven Schlendrian und der primitiven Arbeitsökonomie des Nordens mit ihren kleptokratischen Überlebensmechanismen in die enorm wettbewerbsorientierte hochtechnisierte Überflußgesellschaft des Südens zu integrieren. Weiter müssen sie mit ihren Traumata und Schuldgefühlen gegenüber den daheimgebliebenen Familienangehörigen, die den brutalen Repressionen des Regimes ausgesetzt sind, zurechtkommen. Der Süden neidet mittlerweile die „unverdienten“ Sozialhilfen für die Landsleute, hält sie für faul, undankbar und unfähig.

Mögliche Kosten einer Wiedervereinigung schrecken zudem viele ab. Den 50 Millionen Südkoreanern stehen 24 Millionen Nordkoreaner gegenüber. 1989 hatte Westdeutschland mit 62 Millionen Bürgern und Mitteldeutschland mit 17 Millionen ein Verhältnis von 4:1. Die Wirtschaftskraft pro Kopf des heutigen Südkorea beträgt im Vergleich zur damaligen BRD ebenfalls ein Viertel. Damit ist für jeden Südkoreaner klar, daß er für seine Wiedervereinigung an Transfers aller Art jahrzehntelang mindestens achtmal mehr leisten muß als jeder Westdeutsche.

Was tun? Der Sturz der Kim-Diktatur erscheint friedlich kaum vorstellbar. Es gibt in Nordkorea kein Oppositionsmilieu, das, wiewohl vom Geheimdienst durchsetzt, in runden Tischen friedliche Übergänge mit der Diktatur verhandeln könnte. Denn wer sich in Nordkorea als religiös oder als Dissident verdächtig macht, endet vorm Erschießungskommandos oder in Todeslagern. Damit verbrennt die Diktatur der Kim-Dynastie alle Brücken.

Doch ihr Scheitern ist angesichts der Wirtschaftsmisere und des zunehmenden Unwillens der Pekinger Schutzmacht, sich noch länger jenen immer peinlicher werdenden Schützling zuzumuten, dennoch eine Frage der Zeit. Dies zumal Südkorea unter Präsidentin Park Geun-hye alles tut, um Peking erfolgreich zu „befreunden“.

Foto: Demilitarisierte Zone im Grenzort Panmunjeom: Aug in Aug stehen sich süd- und nordkoreanische Soldaten (hinten) gegenüber

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