© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/14 / 07. November 2014

Schweden werden der Braunkohle untreu
Energiewende: Die Landesregierungen in Sachsen und Brandenburg fürchten, daß sich der Konzern Vattentfall aus dem Tagebau zurückziehen könnte
Paul Leonhard

Über die Zukunft des Braunkohlebergbaus und der Energieerzeugung aus Braunkohle in der Lausitz wird nicht mehr in Deutschland, sondern in Schweden entschieden. Und die Abgeordneten des schwedischen Reichstags dürften sich verwundert die Augen reiben über die zahlreichen Besucher und Briefe aus Deutschland.

In der vergangenen Woche reiste Sachsens SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzender Martin Dulig unmittelbar nachdem der Koalitionsvertrag mit der CDU unter Dach und Fach war, nach Schweden, um für den Fortbestand der Braunkohleförderung im Freistaat zu kämpfen. Den Anfang hatte im September ein Schreiben gemacht, in dem die Vertreter des sorbischen Volkes in Deutschland einen „geregelten und geplanten mittelfristigen Ausstieg aus der Braunkohle im sorbischen Siedlungsgebiet“ und einen Verzicht auf die geplante Zerstörung angestammten sorbischen Siedlungsgebietes fordern, wie sie das schwedische Staatsunternehmen Vattenfall Europe Mining mit der Erweiterung der Tagebaue Jänschwalde-Nord, Welzow-Süd II und Nochten 2 geplant hat.

Kurz danach verkündete die neue rot-grüne Minderheitsregierung Schwedens eine Neuorientierung in der Energiepolitik. Betroffen davon ist besonders der in der Lausitz aktive Konzern Vattenfall. Man wolle die bisher politisch gewollte „Expansion von Braunkohle“ beenden, die Zukunft des Unternehmens liege „in der Entwicklung erneuerbarer Energien, nicht in Kohle und Gas“, teilten die schwedischen Sozialdemokraten mit. Allerdings hatte Schweden, das fast 30 Prozent seines Stroms aus Kernenergie gewinnt, bereits vor zwei Jahren Vattenfall als Ziel eine stärkere Orientierung auf erneuerbare Energien vorgegeben.

Die Ankündigung hat in Sachsen und Brandenburg für Bestürzung gesorgt. Die Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) und Dietmar Woidke (SPD), die beide gerade noch im eigenen Wahlkampf die Braunkohleförderung und -verstromung als unverzichtbar beworben hatten, sahen sich genötigt, einen dringenden Appell an den schwedischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven zu schicken, in dem beide „so schnell wie möglich“ um Gespräche bitten. Zur Braunkohle gebe es vorerst keine Alternative, sagte Tillich. In der Lausitz werde noch in Jahrzehnten Braunkohle abgebaut, wenn nicht durch Vattenfall ,dann durch ein anderes Unternehmen.

Während die Sorben der Verlust ihrer Heimat durch den Braunkohleabbau ängstigt, dem bereits 130 Dörfer zum Opfer gefallen sind, fürchten die Ministerpräsidenten den Verlust von rund 30.000 Arbeitsplätzen in der strukturschwachen Region. Auch erinnern sie daran, daß Deutschland seit Merkels Kehrtwende in der Atomstromerzeugung die Braunkohle als Brückentechnologie benötige. Tatsächlich deckt Deutschland gerade einmal 30 Prozent seines Energiebedarfs aus eigenen Quellen, davon wiederum entfallen 40 Prozent auf die Braunkohleverstromung.

Ohne heimische Braunkohle steige die Abhängigkeit Deutschlands von Energiimporten auf deutlich über 80 Prozent, schreibt der Deutsche Braunkohlen-Industrie-Verein (Debriv). Auf absehbare Zeit bleibt Deutschland auf die Braunkohle angewiesen. Wegen der Leistungsschwankungen bei den erneuerbaren Energien werde die Stromerzeugungskapazität der konventionellen Kraftwerke nur geringfügig abnehmen. Erst ab 2040 sei eine Verdrängung der Kohle durch Erdgas zu erwarten.

In den in der Lausitz genehmigten Tagebauen steht Vattenfall eine Milliarde Tonnen Braunkohle zur Verfügung. Mit dieser könne ein schrittweiser Ausstieg bis 2040 gestaltet werden, sagt das Mitglied im Braunkohlenausschuß des Landes Brandenburg, René Schuster. Aus seiner Sicht betrifft die Entscheidung Schwedens die Tagebaue Jänschwalde-Nord, Welzow-Süd II und Nochten 2. Für diese hätten zwar die jeweiligen Bundesländer einen Braunkohleplan beschlossen, eine bergrechtliche Genehmigung werde aber erst geprüft, wenn Vattenfall einen Antrag stellt. Das ist bisher nicht erfolgt.

Der Konzern versucht derweil die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen. Die neue Energiepolitik der schwedischen Regierung stehe „in keinem Widerspruch zu unseren aktuellen Plänen“, sagte ein Sprecher. Die derzeit betriebenen Förderstätten würden noch bis Mitte des kommenden Jahrzehnts reichen, und die geplanten Tagebauerweiterungen dienten lediglich der Absicherung der bestehenden Kraftwerke.

 

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