© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/14 / 07. November 2014

Das Heim der gefallenen Flüchtlinge
Bremen: Eine Asylunterkunft für junge Intensivtäter sorgt bei Anwohnern für Unruhe
Hinrich Rohbohm

Die Botschaft auf dem Transparent ist eindeutig. „Nicht mit uns. Rekumer Straße 12: kein offener Vollzug in Bremen-Farge“ steht da geschrieben. Angebracht an der Balustrade eines weißverputzten Hauses mit rotem Ziegeldach, das sich gegenüber jenem Gebäude befindet, in dem künftig asylsuchende jugendliche Intensivstraftäter untergebracht werden sollen.

Vier von ihnen sind bereits da, später sollen es zwölf sein. In einer „Nacht und-Nebel-Aktion“ hätten die Politiker den Standort Rekumer Straße 12 beschlossen, schimpft ein Vater von vier Kindern. „Einfach über die Köpfe der Bürger hinweg, das regt die Leute hier am meisten auf“, sagt er. Der Mann hat gerade seine Jungs aus dem Kindergarten abgeholt, der nur wenige Meter von der umstrittenen Unterkunft entfernt liegt.

„Allein die Lage ist einfach unsensibel“, meint der Mann, der sich auch an der Unterschriftenaktion gegen den Standort beteiligt hat. 2.300 Unterzeichnende aus Farge und Umgebung waren auf diese Weise zusammengekommen. Die Bürger wollten auf diese Weise ihrem Unmut über den rot-grünen Bremer Senat Luft verschaffen.

„Selbstherrlich und mit einer Arroganz ohnegleichen“ setze dieser sich über die Einwände der ortsansässigen Bürger hinweg, erzählt ein anderer Anwohner. Geschäftsleute hätten Unterschriftenlisten in ihren Läden ausgelegt, seien deshalb von der Antifa bedroht worden, daß sie Ärger bekommen würden, wenn sie die Listen nicht wieder entfernen würden. Beeindruckt habe das die Leute jedoch wenig. „Die haben alle weitergemacht“, erinnert sich der Mann.

Mit nachdenklicher Miene spricht er über die Polizeipräsenz im Ort. „Wenn hier Intensivstraftäter herumlaufen und wirklich was passiert, dann haben wir ein Problem.“ In Farge gebe es keine Polizeiwache. „Und die Dienststellen der Nachbarorte sind spätestens um 18 Uhr geschlossen.“ Die Eigentümerin des Hauses neben der Asylunterkunft reagiert gelassener. „Ich ziehe hier demnächst sowieso weg“, erklärt sie. Sorgen macht sich die Frau dennoch. „Der ganze Streit um die Unterkunft für Intensivstraftäter lief überall in den Medien. Wer will denn nun noch mein Haus kaufen?“ Experten hätten ihr gesagt, daß sie mit einem Wertverlust von 20 Prozent rechnen müsse. „Wer wird mir diesen Schaden ersetzen?“ fragt sie sich.

Einstieg in eine kriminelle Karriere

Lothar Kannenberg, ein Mann mit Brille, kurzem grauen Vollbart und schwarz-blauem Trainingsanzug, kennt die Sorgen der Anwohner. Einst hatte er ein vom damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) initiiertesJugendcamp

geleitet. Mit seinen Erfahrungen will er die Jugendlichen wieder auf den rechten Weg bringen und gleichzeitig um Vertrauen bei den Anwohnern werben. Kannenberg hat sich für eine Strategie der Offenheit entschieden. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn die Eingangstür zur Asylunterkunft ist nicht verschlossen.

Einerseits will er seine Jugendlichen nicht auf den Präsentierteller stellen. Andererseits könne er durch Transparenz Unwissenheit und Vorurteilen entgegentreten. Während er spricht, reinigen zwei der Jugendlichen den Boden. „Das machen sie mit, weil wir es ihnen vorleben“, erklärt Kannenberg. So bringe er sich selbst in die Hausarbeit ein, kocht, putzt und bindet die Straftäter mit ein, die aus Algerien und Marokko stammen.

„Sie sind zunächst nach Frankreich gekommen“, erzählt er von ihrem Weg nach Deutschland. Weil sie dort nicht genügend Sozialleistungen erhalten hätten, seien sie weiter nach Spanien gereist. Da seien sie zwar finanziell unterstützt worden, jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum. Schließlich sind sie nach Deutschland gegangen, bekommen sechs Euro pro Tag ausgezahlt. „Wenn sie kommen, sind sie schon sehr fordernd“, gibt Kannenberg zu. „Meist gehen sie dann an den Hauptbahnhof, wo sie mit anderen Ausländern in Kontakt kommen.“ Oftmals der Einstieg in die kriminelle Karriere. Drogendelikte, Handyklau, Raub, Körperverletzung. Einige kommen erst später in Kannenbergs Einrichtung, die er eigenverantwortlich betreibt. Sie sitzen noch Haftstrafen ab. Eine Abschiebung der Betroffenen scheitert am mangelnden politischen Willen in der Hansestadt.

Erst kürzlich haben jugendliche Asylbewerber einen 16jährigen in Bremen erstochen. Nicht zuletzt deshalb herrscht unter Farges Einwohnern Unruhe über das Heim für Intensivstraftäter in ihrer Nachbarschaft. „Ich habe die Verantwortung. Wenn ich nicht absolut sicher bin, daß die Sache funktioniert, nehme ich ihn nicht bei mir auf“, versichert Lothar Kannenberg, dem ein Sicherheitsbediensteter als Schutz zur Seite gestellt wurde.

Er spricht vom Tag der offenen Tür, an dem zahlreiche Anwohner vorbeikamen und Kaffee und Kuchen brachten. „Sozialromantiker“ nennt sie Fritjof Balz, Initiator einer Facebook-Gruppe, durch die die Unterschriftensammlung ins Rollen gekommen war. „Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und dann wirklich was passiert, sind es die gleichen Leute, die dann ‘hätte man doch’ sagen.“ Dabei gebe es zu dem „unglücklichen Standort Rekumer Straße 12“ durchaus Alternativen, ist Balz überzeugt. Inzwischen hat sich auch die Opposition in der Bremer Bürgerschaft eingeschaltet. Die CDU hatte in der vergangenen Woche zu einer Anwohnerversammlung geladen. „Der Saal war brechend voll“, erinnert sich eine Bürgerin an das große Interesse. Auch Bürger in Wut (BIW) und die Alternative für Deutschland (AfD) kritisieren die Standortentscheidung des Senats.

„Der Standort ist nicht optimal“, muß auch Lothar Kannenberg einräumen. „Das Ganze wird hier nur eine Übergangslösung sein“, prognostiziert er. Fritjof Balz bezweifelt das. „Der Mietvertrag für die Einrichtung ist auf ein Jahr ausgelegt. Das sieht für mich nach einer langfristigen Lösung aus.“ Viele Bürger Farges teilen seine Skepsis.

Foto: Lothar Kannenberg (l.), Sicherheitsmann: Politik der offenen Tür

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