© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/14 / 07. November 2014

Die Schuld der anderen
Ausländerbericht: Für Mißstände bei der Einwanderung macht die Integrationsbeauftragte Özoguz vor allem die Deutschen verantwortlich
Lion Edler

Es ist der zehnte Bericht „über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland“, den die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), in der vergangenen Woche vorlegte. Doch das über 700 Seiten fassende Dossier liest sich an vielen Stellen so, als ginge es gar nicht um Ausländer, sondern vor allem um Deutsche. Genauer gesagt: um Deutsche, die Ausländer diskriminieren. Vor allem Lehrer, Kindergärtner, Ärzte und Polizisten hat Özoguz dabei im Visier.

Dem Bericht zufolge lebten 2012 rund 16,3 Millionen Personen mit einem sogenannten „Migrationshintergrund“ in Deutschland – etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung. Davon sind allerdings nur knapp 7,4 Millionen ausländische Staatsangehörige. Die größte Herkunftsgruppe bilden türkischstämmige Personen (18,3 Prozent), gefolgt von Polnischstämmigen (9,4 Prozent).

Schuldzuweisung an deutsche Lehrer

Daß die Integration bei einem erheblichen Teil der Zuwanderer fehlschlug, verhehlt der Bericht durchaus nicht. Nach den Zahlen von 2012 habe die „Armutsgefährdungsquote“ von Personen mit Migrationshintergrund bei 26,8 Prozent gelegen, bei Personen ohne ausländische Abstimmung dagegen nur bei 12,3 Prozent. Als „armutsgefährdet“ gilt dabei, wer mit seinem verfügbaren Einkommen unterhalb von 60 Prozent des Durchschnittseinkommens liegt. In diesem Zusammenhang betont der Bericht, daß der Bildungsstand „kaum Auswirkungen“ auf die Armutsgefährdungsquote habe – eine Aussage, die in erstaunlichem Widerspruch zur Linie der Bundesregierung seit Jahren steht. So merkt der Bericht an, daß die Armutsgefährdung bei Personen mit ausländischer Abstammung und Abitur (20,1 Prozent) höher liegt als bei Personen ohne ausländische Abstammung und Hauptschulabschluß (14,9 Prozent). Die Integrationsbeauftragte fordert daher im Bericht eine „genaue Analyse der Diskrepanzen in der Armutsgefährdung“, um die „Faktoren für das Ungleichgewicht benennen und diesen entgegenwirken zu können.“ Der Rest des Berichts läßt dann aber kaum einen Zweifel daran, daß Özoguz diese „Faktoren“ vor allem in der Diskriminierung und mangelnder staatlicher Fürsorge sieht.

Beispielsweise beim Thema „Frühkindliche Bildung“. Dort beklagt die SPD-Politikerin, daß Kinder mit Migrationshintergrund unter drei Jahren mit 17,1 Prozent eine deutlich geringere Betreuungsquote aufweisen als Kinder ohne Migrationshintergrund (34,6 Prozent). Ein „früher Zugang zu Bildung“ führe jedoch „zu besseren Entwicklungschancen“ und habe „nachweislich positive Effekte für ihre Bildungswege“.

Gründe für die geringere Betreuungsquote seien unter anderem „mangelnde Plätze in der frühkindlichen Bildung“, Betreuungskosten und eine „mangelnde interkulturelle Öffnung.“ Diese fehlende interkulturelle Öffnung macht Özoguz offenbar auch an den deutschen Lehrern fest. Nach wie vor wirkten sich „der Einfluß sozialer Herkunft bei der Notenvergabe, die Schulübergangsempfehlungen, mangelnde Wertschätzung und Akzeptanz gegenüber bestimmten Herkunftsgruppen“ und „verinnerlichte negative Stereotype auf seiten der Lehrkräfte wie auch der Schülerinnen und Schüler auf den Bildungserfolg aus“. Auch im Ausbildungsmarkt sei zu beklagen, daß Jugendliche mit türkisch oder arabisch klingendem Namen „bereits in der ersten Bewerbungsphase diskriminiert“ würden.

Förderungsbedarf sieht der Bericht auch bei der Sprache. Dort ist von der „Förderung der deutschen Sprache in den Bereichen Kita und Schule“ die Rede – kein Wort von der Verantwortung ausländischer Eltern, ihren Kindern die deutsche Sprache beizubringen. Der Bericht sieht stattdessen „Handlungsbedarf hinsichtlich der Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte“. Kritisiert wird außerdem, daß „die Potentiale gesellschaftlicher und individueller Mehrsprachigkeit“ in Kitas und Schulen „zu wenig gefördert“ würden.

„Unmündiges und bedauernswertes Geschöpf“

Selbst im Gesundheitssystem sind die Deutschen für Özoguz nicht weltoffen genug. Ihre Untersuchung geht von einem Anteil von rund 20 Prozent der „Migrantinnen und Migranten“ aus, der mangels Sprachkenntnissen nicht in der Lage sei, Informationsmaterialien zu verstehen oder einem Arzt-Patienten-Gespräch vollständig zu folgen. Wie selbstverständlich zieht Özoguz daraus die Schlußfolgerung: „Auf der Angebotsseite fehlen in der Aus- und Weiterbildung interkulturelle Kenntnisse und kultursensible Angebote.“

Während der Bericht bei den Regierungsparteien sowie bei Grünen und Linkspartei auf Zustimmung stieß beziehungsweise zu Forderungen nach einer intensiveren Integrationspolitik führte, kam von der AfD scharfe Kritik. Özoguz sehe den Bürger als „unmündiges, bedauernswertes und hilfsbedürftiges Geschöpf, das darauf wartet, von der Politik an die Hand genommen zu werden“, kritisierte AfD-Sprecher Konrad Adam. Sie wisse nicht, daß „nicht nur der Staat, sondern auch der einzelne“ etwas zum Aufstieg durch Bildung beizutragen habe: „Für sie ist nur der Staat, nicht der Bürger gefordert, wenn es mit der Chancengleichheit nicht klappt.“

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