© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

Gabriels Zauberformel für den Machtwechsel
Große Koalition: Angesichts der Verhandlungen zwischen Linkspartei, SPD und Grünen in Thüringen wird über die Zukunft von Schwarz-Rot in Berlin spekuliert
Christian Schreiber

So ganz sicher ist sich die SPD offenbar noch nicht, was sie da gerade anstellt. Yasmin Fahimi, die Generalsekretärin, möchte die geplante rot-rot-grüne Koalition in Thüringen nicht überbewerten. Es sei eine „landesspezifische Sache“ und habe „mit der Großen Koalition in Berlin rein gar nichts zu tun“. Der am Wochenende neu gewählte Vorsitzende der Thüringer SPD, Andreas Bausewein, sprach dagegen von einer „Zäsur.“ Daß die SPD eine Koalition mit der Linkspartei eingeht, ist nichts Neues. In Brandenburg wurde das rot-rote Bündnis unlängst bestätigt, in Sachsen-Anhalt gab es vor Jahren bereits ein Tolerierungsmodell, und auch Klaus Wowereit regierte in Berlin schon mit den Post-Kommunisten.

Die Folgen für Berlin sind nicht abzusehen

Daß sich die SPD dafür hergibt, als Mehrheitsbeschaffer für die Linkspartei zur Verfügung zu stehen und den ersten Ministerpräsidenten der Linken ins Amt zu hieven, ist allerdings ein Novum. Sollte die SPD-Basis dem Unterfangen zustimmen, könnte West-Import Bodo Ramelow im November zum Regierungschef in Erfurt gewählt werden. „R2g“ lautet im Berliner Politbetrieb die Zauberformel für das Modell, zweimal Rot und einmal Grün.

Die Folgen für die Große Koalition in Berlin sind dagegen noch nicht absehbar. Linkaußen in den Reihen der SPD wie Ralf Stegner, Landeschef von Schleswig-Holstein, favorisieren seit Jahren die „linke Tour“, halten auch ein Bündnis auf Bundesebene für nicht ausgeschlossen. Parteichef Sigmar Gabriel hält dies (noch) für unrealistisch. Aber gemeinsam mit den Grünen verfügen SPD und Linkspartei auch im Reichstag über eine strukturelle Mehrheit. Allerdings waren die Unterschiede in Fragen der Euro-Rettung oder der Rußland-Politik so tiefgreifend, daß die SPD-Führung diesen Schritt bislang scheute.

Mit der geplanten Koalition geht die Partei nun ein großes Risiko ein. Am Ende könnte es Sigmar Gabriel tatsächlich ins Kanzleramt schaffen, andererseits wäre auch ein erneuter Absturz in der Wählergunst möglich. Nur rund ein Drittel aller Befragten sprachen sich am Wochenende für „r2g“ in Thüringen aus, auf Bundesebene will ein solches Bündnis nicht einmal die Mehrheit der SPD-Wähler. Offiziell hat die Bundesspitze die Angelegenheit als Ländersache abgetan. Ein Jahr könnte sie nun zuschauen, ob es Ramelow gelingt, stabile Verhältnisse zu schaffen. Danach könnte Rot-Rot-Grün Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einem Mißtrauensvotum aus dem Amt jagen.

Doch es gibt Befürchtungen, der Linken-Politiker könne die Abstimmung im Erfurter Landtag nicht überstehen, Ramelow verfügt nur über eine Stimme Mehrheit. Und innerhalb der SPD-Landtagsfraktion gilt keinesfalls als sicher, daß alle Abgeordneten für Rot-Rot-Grün stimmen, schließlich finden sich in den Reihen der Linken mehrere Abgeordnete mit tiefen Verstrickungen ins DDR-Regime.

Ob die SPD-Mitglieder im Freistaat mitmachen, scheint auch noch nicht ausgemacht zu sein. „Ich hoffe, daß unsere Mitglieder den Wahnsinn stoppen, den der Landesvorstand beschlossen hat“, sagte der Vorsitzende der SPD im thüringischen Ilmenau, Stefan Sandmann. Mit Markus Meckel sprach sich auch ein Mitbegründer der Ost-SPD von 1989 gegen eine rot-rot-grüne Koalition in Thüringen aus: „Die Linke steht nicht auf der Basis des breiten Konsenses unserer Gesellschaft zu den Schlüsselfragen der Außen- und Europapolitik. Deshalb ist sie in meinen Augen für die SPD nicht koalitionsfähig“, sagte der letzte Außenminister der DDR.

Die Grünen wollen ihren Namen nicht ändern

Die CDU forderte unterdessen von den Grünen, die Bezeichnung „Bündnis 90“ aus dem Parteinamen zu streichen, schließlich sei die Partei in Thüringen dabei, das Erbe der Bürgerrechtler der ehemaligen DDR zu verspielen. „Unsinn“, konterte Grünen-Chef Cem Özdemir, der die Sache in Erfurt recht entspannt verfolgt. Rot-Rot-Grün könnte seiner Partei eine zusätzliche Machtoption sichern, sollte das Experiment scheitern, hätten die Realos einen Grund mehr, auf ein Bündnis mit der CDU zu drängen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird nachgesagt, daß sie dies für 2017 anstrebe. Der Modellversuch in Hessen verläuft aus ihrer Sicht erfolgversprechend. An eine Rückkehr der FDP scheint sie ohnehin nicht mehr zu glauben.

Foto: Gysi (l.) und Gabriel im Bundestag: „Linke Tour“ auch in Berlin?

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