© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

Der Flieger von Tsingtau
Der Marineoffizier Gunther Plüschow zählt zu den schillerndsten deutschen Helden des Ersten Weltkrieges
Marcus Schmidt

Sein Flugzeug war aus Holz, und den Feind bekämpfte er mit selbstgebauten Bomben. Als „Flieger von Tsingtau“ war der Marineoffizier Gunther Plüschow einer der schillerndsten deutschen Helden des Ersten Weltkrieges. Seine 1916 erschienenen Erinnerungen an den Kampf um das von Briten und Japanern belagerte Tsingtau und seine spektakuläre Flucht in die Heimat nach dem Fall der deutschen Kolonie in China verkauften sich unter dem Titel „Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau“ hunderttausendfach. Heute ist Plüschow wie auch die Belagerung der deutschen Festung in China ebenso vergessen wie die Tatsache, daß es einst in China eine deutsche Stadt gab.

Das Gebiet um die Bucht Kiautschou im Süden der Shandong-Halbinsel an der chinesischen Ostküste war 1897 von deutschen Truppen besetzt und ein Jahr später von China für 99 Jahre gepachtet worden. Planmäßig wurde die Stadt nach europäischem Standard zu einer Musterkolonie ausgebaut. Noch heute zeugen in der Millionenmetropole Quingdao, mittlerweile einer der wichtigsten Häfen Chinas, Gebäude aus der damaligen Zeit von der deutschen Geschichte der Stadt. Auch militärisch war die Stadt als Stützpunkt des Ostasiengeschwaders, dem der legendäre Kleine Kreuzer Emden angehörte, für das Kaiserreich von Bedeutung. Der Hafen verfügte über das einzige Trockendock der Marine außerhalb Deutschlands. Tsingtau, das deutsche Hongkong, unterstand nicht wie die anderen Überseegebiete dem Reichskolonialamt, sondern der Marineführung. Die Gouverneure waren dementsprechend Marineoffiziere.

Auch der 1886 in München geborene Plüschow war 1904 in die Kaiserliche Marine eingetreten. Anfang 1914 wurde er in Berlin zum Piloten ausgebildet und der neu aufgestellten Marinefliegerabteilung zugeteilt. Seine erste Verwendung führte ihn, wenige Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, nach Tsingtau. Dort stand ihm eine von dem aus Wien stammenden Flugzeugkonstukteur Edmund Rumpler gebaute Maschine vom Typ „Taube“ zur Verfügung. Sie war eines der ersten in größerer Stückzahl gebauten Flugzeuge und bestand größtenteils aus Holz und Stoff. Doch leistete sie dem frischgebackenen Piloten und der deutschen Musterkolonie in Ostasien bald wertvolle Dienste. Denn Plüschow blieb in Tsingtau nicht viel Zeit zur Eingewöhnung.

Am 15. August 1914 forderte das japanische Kaiserreich Deutschland ultimativ auf, sich aus Ostasien zurückzuziehen und Tsingtau zu übergeben. Ein Ansinnen, das umgehend abgelehnt wurde. Daraufhin begannen die zahlenmäßig weit überlegenen Alliierten von Land und von See her mit der Belagerung und Beschießung der Stadt.

Flucht aus britischer Kriegsgefangenschaft

Über Wochen arbeiteten sich die in China gelandeten japanischen Expeditionstruppen an die Verteidigungsstellungen der Deutschen heran. Dabei konnte Plüschow mit seinen waghalsigen Aufklärungsflügen unter feindlichem Feuer der eigenen Artillerie wichtige Hinweise auf die Stellungen der Japaner geben. Bewaffnet war Plüschow lediglich mit einer Pistole – und selbstgebauten Bomben. Hierfür wurden im Artilleriedepot von Tsingtau große Kaffeedosen mit Dynamit und Hufeisennägeln befüllt und mit einem Zünder versehen. „Viel Schaden haben sie nicht angerichtet“, gestand Plüschow in seinen Erinnerungen ein.

Am 7. November 1914 kapitulierte Tsingtau schließlich vor der Übermacht und aus Mangel an Munition. Die Mehrzahl der deutschen Verteidiger ging in die Kriegsgefangenschaft nach Japan. Einzig Plüschow gelang mit seiner Taube die Flucht aus der Stadt nach Südchina. Über Shanghai und San Francisco erreichte er schließlich Gibraltar, wo er in britische Gefangenschaft geriet. Doch durch eine spektakuläre Flucht konnte sich Plüschow von London aus nach Deutschland durchschlagen.

Nach dem Krieg machte er sich durch Expeditionen in Südamerika einen Namen. Das Ende des Fliegers von Tsingtau war tragisch und paßte doch zu seinem abenteuerlichen Leben. Bei seiner dritten Expedition stürzte Plüschow im Januar 1931 mit seinem Flugzeug ab und starb.

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