© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/14 / 24. Oktober 2014

Fünf vor zwölf den Sozialismus kurieren
Die Rehabilitierung des Schriftstellers Walter Janka in den letzten Wochen der DDR vor dem Mauerfall
Thorsten Hinz

Am 28. Oktober 1989 wurde das Deutsche Theater in Berlin (damals: Hauptstadt der DDR) zur politisch-moralischen Anstalt. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, Lautsprecher übertrugen die Veranstaltung auf den Vorplatz, wo die Zuhörer sich stauten. Die Rundfunkübertragung jagte regelrechte Schock- und Erregungswelle durchs Land, das schon seit Monaten unter Hochspannung stand. Zehn Tage zuvor war Erich Honecker durch Egon Krenz abgelöst worden, die dürftig erneuerte SED-Führung hatte Reformen angekündigt. Eine Entwicklung war im Gange, von der niemand wußte, wohin sie führen würde.

Der Schauspieler Ulrich Mühe las mit präziser Akzentuierung aus den Memoiren des 75jährigen Walter Janka, eines weithin Unbekannten. Das änderte sich nun schlagartig. Janka war in den 1950er Jahren der Leiter des Aufbau-Verlags gewesen. Das Haus in der Berliner Jägerstraße war das geistig-kulturelle Nervenzentrum der DDR. Im Dezember 1956 war Janka von der Staatssicherheit festgenommen und wegen staatsfeindlicher Tätigkeit für mehrere Jahre ins Zuchthaus Bautzen gesteckt worden, das er schon in der NS-Zeit kennengelernt hatte. Das war das brutale Ende einer kommunistischen Traumkarriere.

Janka war 1914 geboren worden, mit 16 Jahren trat er in die KPD ein, betätigte sich 1933 im Widerstand und mußte zwei Jahre im Zuchthaus und im KZ verbringen. 1936 zog er in den Spanischen Bürgerkrieg, war jüngster Bataillonskommandeur auf republikanischer Seite und wurde dreimal schwer verwundet. 1941 emigrierte er nach Mexiko, wo er einen Exilverlag leitete. 1947 kehrte er nach Berlin zurück.

Rehabilitierung des früher inhaftierten Schriftstellers

In der DDR stieg der begabte Arbeitersohn an die Spitze des wichtigsten Verlags auf, den er gemeinsam mit dem jungen Philosophen und Cheflektor Wolfgang Harich prägte. Beide waren eigenwillig, idealistisch, Lieblinge der Frauen und vom Willen beseelt, die DDR zu entstalinisieren und den Betonkopf Walter Ulbricht zu stürzen. Mit der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes im November 1956 endete jedoch die sogenannte „Tauwetter“-Periode. Harich, Janka und weitere Intellektuelle (darunter der junge Günter Zehm alias Pankraz) wurden verhaftet. Janka wurde in einem Schauprozeß abgeurteilt, dem prominente Intellektuelle aus Abschreckungsgründen beiwohnen mußten.

Nach seiner Haftentlassung Ende 1960 blieb er in der DDR. Seine kommunistische Überzeugung sei während der Haft „sogar gefestigt“ worden, ließ er Ulrich Mühe verkünden, denn „wäre es anders gewesen, hätte er fortgehen müssen, als sich die Gefängnistore öffneten. So wie es viele taten, die Ähnliches und Schlimmeres erlebt hatten.“ Erst 1989 brach Janka sein öffentliches Schweigen über sein Schicksal und übergab dem Rowohlt-Verlag die Niederschrift seiner Erinnerungen. Besonders wurde die Öffentlichkeit durch die Mitteilung elektrisiert, daß die Schriftsteller Anna Seghers und Johannes R. Becher um seine Unschuld gewußt und ihn vor und während des Prozesses im Stich gelassen hätten. Seghers und Becher waren bis dahin zwei sakrosankte Gestalten der DDR-Zeitgeschichte gewesen. Außerdem, so Janka, hätte Wolfgang Harich ihn mit seiner Zeugenaussage schwer belastet.

Janka war nun der Mann der Stunde. Sein Schicksal bezeugte die Verworfenheit der real existierenden SED-Herrschaft und zugleich die Reinheit und Unzerstörbarkeit des sozialistischen Ideals. Eine regelrechte Jankamania setzte ein, Seghers- und Becher-Schulen baten darum, ihre kompromittierten Namen ablegen und durch den Jankas ersetzen zu dürfen; sogar als neues Staatsoberhaupt war er im Gespräch.

Allerdings war seine Darstellung subjektiv und unvollständig. So war ihm entgangen, daß Harich vor Gericht aus den falschen Schuldbekenntnissen früherer Schauprozesse zitierte und einen indirekten Hinweis gab, was wirklich gespielt wurde. Harichs Haftstrafe dauerte übrigens doppelt so lange wie Jankas.

Die Veranstaltung im Deutschen Theater war eine Inszenierung, deren Doppelbödigkeit weder dem Hauptdarsteller noch den Zuhörern bewußt war. Für Janka bedeutete sie seine öffentliche Rehabilitierung und für das Publikum den Durchbruch zur lang ersehnten öffentlichen Debatte. Für die politischen Regisseure war sie Teil des Versuchs, ihre und die Macht der SED, den Sozialismus und die DDR zu retten.

Auch unter SED-Funktionären und hohen DDR-Kadern war es längst kein Geheimnis mehr gewesen, daß die DDR auf eine Katastrophe zusteuerte und Honecker ablösungsreif war. Diese Kräfte trauten auch Egon Krenz nicht zu, eine an Gorbatschows „Perestroika“ angelehnte Reformpolitik einzuleiten. Als Hoffnungsträger wurde der Dresdner Parteichef Hans Modrow lanciert, nicht zuletzt über westliche Medien. Die parteiinterne Opposition stand in enger Verbindung mit sowjetischen Partei- und Geheimdienstfunktionären.

Janka verkörperte das antifaschistische DDR-Ideal

Für sie war Janka mit seiner durch Leid beglaubigten Musterbiographie die geeignete Galionsfigur, um das vermeintliche antifaschistisch-humanistische Ursprungsideal der DDR und die Einheit von Erneuerung und Kontinuität zu repräsentieren. Dem Mangel an Bekanntheit wurde durch den Denkmalsturz von Seghers und Becher abgeholfen. Wie in einem System kommunizierender Röhren schoß Jankas Popularität in dem Maße in die Höhe, wie das Ansehen der beiden Dichter in den Keller fiel.

Vordergründig beruhten die Angriffe auf Wolfgang Harich auf persönlichen Aversionen und Mißverständnissen, ihre Stoßrichtung aber war gleichfalls hochpolitisch. Die zentrale Figur, auf die der Justizterror 1956/57 zielte, war nämlich nicht Janka, sondern Harich gewesen. Dieser war ein strategischer Denker mit nationalkommunistischer Gesinnung, dessen Planungen und Aktivitäten weit über die von Janka hinausgegangen waren. Die Demokratisierung der DDR schuf in seinen Augen die Voraussetzung, um ein wiedervereintes, souveränes, neutrales und sozialdemokratisiertes Deutschland zu erreichen. Das machte ihn in den Augen Ulbrichts so gefährlich, daß er erst 1964 als gebrochener Mann freigelassen wurde. Sein Name war 1989 noch durchaus ein Begriff. Zwar war er ohne Macht und Einfluß und hatte sich zuletzt durch bizarre Äußerungen zur beginnenden Nietzsche-Rezeption in der DDR kompromittiert, aber als scharfzüngiges Irrlicht wäre er ohne weiteres in der Lage gewesen, die Pläne der SED-Reformer zu stören, indem er in den sich öffnenden DDR-Medien die deutsche Frage aufwarf. Durch seine Diskreditierung und die Zerstörung seiner Opfer-Reputation sollte ihm diese Möglichkeit genommen und das Thema überhaupt abgeschnitten werden.

Zwölf Tage später fiel die Mauer. Aus den klugen Kombinationen waren über Nacht nostalgische Sandkastenspiele geworden. Janka und Harich traten in eine juristische und publizistische Schlammschlacht ein, die aber keine politische Relevanz mehr besaß. Die Geschichte hatte beide erneut und diesmal endgültig aus dem Spiel genommen. Und nie wieder wurde in einem deutschen Theater ein vergleichbar politisches Stück aufgeführt wie am 28. Oktober 1989 im Deutschen Theater in Berlin, Hauptstadt der DDR.

Foto: Der Schauspieler Ulrich Mühe liest am 28. Oktober 1989 im Deutschen Theater in Ost-Berlin aus der Autobiographie „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ von Walter Janka (erste Reihe, 4.v.l.): Für die politischen Regisseure war die „Jankamania“ der späte Versuch, den Sozialismus und die DDR zu retten

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen