© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/14 / 24. Oktober 2014

Den Glauben an das Gute verloren
Anschuldigung im Beichtstuhl: In dem Film „Am Sonntag bist du tot“ muß ein irischer Dorfpfarrer herausfinden, wer ihn ermorden will
Wolfgang Paul

Kauzig und amüsant, bisweilen starrsinnig, aber immer trinkfest – so kennt man die Iren aus vielen Filmen. Doch der irischstämmige Drehbuchautor und Regisseur John Michael McDonagh malt in seinem packenden Thriller „Am Sonntag bist du tot!“ ein schwärzeres Bild von ihnen. Seine Iren, die an der malerisch-rauhen Küste der Grafschaft Sligo leben, sind zwar trinkfest, aber böswillig und geradezu haßerfüllt. Sie bereiten ihrem Pfarrer ein wahres Golgatha, „Calvary“ auf englisch, und das ist auch der Originaltitel des Films.

Schon der Anfang geht unter die Haut. Es ist eine Beichte mit einer atemberaubenden Anschuldigung. Mit sieben Jahren sei er von seinem Pfarrer sexuell mißbraucht worden, hört man einen Mann im Beichtstuhl sagen. Der Priester sei mittlerweile tot, sagt der Mann. Jetzt hat er seinen Beichtvater, den unschuldigen Dorfpfarrer James Lavelle (Brendan Gleeson), auserwählt, das Unrecht zu sühnen. Jesus sei schließlich auch für die Sünden anderer gekreuzigt worden. Eine Woche habe Lavelle noch, um wichtige Dinge zu erledigen und sein Leben zu ordnen, aber: „Am Sonntag bist du tot.“

Unerkannt verläßt das Gemeindemitglied die Kirche. Zur Polizei gehen und Anzeige erstatten kommt für Lavelle nicht in Frage. Das Beichtgeheimnis gilt auch in diesem bizarren Fall. Deshalb bleibt dem Kirchenmann eine Woche, um selbst herauszufinden, wer ihn töten will.

Hitchcocks Thriller „Ich beichte“, in dem ein Pfarrer einen beichtenden Mörder nicht anzeigen durfte und dadurch selbst in Mordverdacht geriet, mag bei der Konzeption des Drehbuchs eine Rolle gespielt haben. Doch John Michael McDonagh geht tiefer, ihm geht es um eine Gesellschaft, die den Glauben an das Gute verloren hat.

Denn in seiner Gemeinde stößt Lavelle bei seinen tastenden Gesprächen, den potentiellen Täter ausfindig zu machen, auf eine ablehnende, eine geradezu feindselige Haltung. Kaum einer traut dem Kirchenmann über den Weg. Es ist, als ob sie alle in der Gemeinde schlechte Erfahrungen mit den Repräsentanten der Kirche gemacht hätten.

So glaubt der Vater eines kleinen Mädchens, mit dem sich Lavelle arglos unterhält, das Vorspiel eines Mißbrauchs zu stoppen. Ein schwuler Polizist und sein junger Liebhaber demonstrieren ihre illusionslose Sicht der Dinge. Eine treulose Ehefrau schert sich einen Dreck um ihren Mann, der zum Zyniker geworden ist. Ihr farbiger Liebhaber wiederum hält sich für diskriminiert und wird aggressiv. Ein arroganter Banker spielt sich mit einer großzügigen Spende auf, weil ihm sein im Überfluß vorhandenes Geld nichts bedeutet.

Alles steht auf dem Kopf in diesem irischen Küstendorf, in dem die Schäfchen zwar noch zum Gottesdienst in die Kirche kommen, aber von der christlichen Botschaft der Nächstenliebe nichts wissen wollen, von Vergebung ganz zu schweigen. Deren Bedeutung sei heutzutage stark unterschätzt, sagt der bedauernswerte Hirte Lavelle einmal.

Er ist ohnehin ein ganz besonderer Priester, ein Witwer mit einer erwachsenen Tochter, die gerade angereist ist, um ihrem Vater einen Besuch abzustatten. Fiona Lavelle (Kelly Reilly) hat einen Selbstmordversuch hinter sich und muß vom Papa aufgerichtet werden. Nicht nur bei ihr ist Lavelle ein zum Priesteramt Berufener, der jedem Verständnis entgegenbringt. In seiner Kindheit habe es einen Pfarrer an der Schule gegeben, der ihn stark beeinflußt habe, hat Brendan Gleeson in einem Interview erklärt. Die Figur, die er im Film spiele, habe viel mit diesem Mann zu tun.

Obwohl Lavelle allen in der Gemeinde zuhört, bleibt er ein Außenseiter, der sich in einer gottlosen Welt zurechtfinden muß, die ein Ingmar Bergman nicht abgrundtiefer hätte erdacht haben können. Mit seiner bulligen Statur gibt Brendan Gleeson, der hier nach „The Guard“ zum zweiten Mal mit Regisseur McDonagh zusammengearbeitet hat, einen Dulder, der einiges ertragen muß. Er ist eine einsame Passionsfigur, mit der man bis zum Ende hofft, es möge alles dann doch gut ausgehen.

http://amsonntagbistdutot.de

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