© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/14 / 24. Oktober 2014

Pankraz,
J. K. Galbraith und die „one issue society“

Oftmals fühlte sich Pankraz in letzter Zeit an John Kenneth Galbraith und seine originelle Theorie von der „one issue society“ erinnert. Galbraith (1908–2006) war ein kanadischer Nationalökonom und intellektueller Tausendsassa, der viele Jahre an der Harvard-Universität lehrte und einige Male (unter Kennedy und Johnson, Carter und Clinton) zum offiziellen Berater von US-Präsidenten aufstieg. Viele politökonomische Mantras und Schlüsselbegriffe verdanken sich seiner Beobachtungsgabe und Formulierkraft, darunter eben auch die Rede von der „one issue society“.

Auf deutsch heißt das etwa: eine Gesellschaft, deren Diskurs und Sozialverhalten nur noch um ein einziges Thema kreisen, so daß alle übrigen total vernachlässigt und schließlich gänzlich weggewischt werden, während der „one issue“ wie ein Krake seine Tentakeln in Gegenden vorschickt, wo sie an sich nichts zu suchen haben und nur Verwirrung stiften. Etwas ereignet sich, oder jemand wirft einen Stein in den Teich, und sofort stürzen sich sämtliche „Medienfrösche“ (Galbraith) auf diesen einen Stein, um ihn anzuquaken und zu befingern.

Nichts sonst geht mehr. Jeder sucht den anderen an einschlägiger Aktivität zu übertreffen, das Publikum ist im Nu aufgeschaukelt, so daß sich bald auch die Politiker der Sache zuwenden müssen, da sie sonst von allen Seiten „wegen Untätigkeit“ angegriffen würden. Sachlich freilich kommt dabei (wie schon Galbraith in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts sarkastisch anmerkte, als er sein Mantra formulierte) kaum etwas und auf Dauer immer weniger heraus; die von den Politikern beflissen in Aussicht gestellten „Sofortmaßnahmen“ greifen nicht, greifen immer weniger, je wilder sich die Politik gebärdet.

Wegen der Kürze der für Prüfungen und Finanzierungen zur Verfügung stehenden Zeit läßt sich gar nicht ordentlich und erfolgversprechend disponieren. Außerdem müssen die Etatverwalter ja fürchten, schon morgen, wenn ein anderes Thema zum „one issue“ aufgestiegen ist, wieder alles umwerfen zu müssen. So greift ausgerechnet dort, wo gelassenes, wissenschaftlich abgesichertes lang- oder mittelfristiges Planen erforderlich wäre, ein wilder Attentismus um sich, der letzten Endes überhaupt nichts bewirkt und die Wähler nur in ihrem Vorurteil bestärkt, daß „die da oben“ ohnehin alles falsch machen.

Galbraith entwickelte die Theorie von der „one issue society“, wie gesagt, in den Jahren zwischen 1930 und 1940, als sich die Medienfrösche mit Zeitung und Radio begnügen mußten und ihr Einfluß auf die Politik eher ephemer war. Verglichen mit heute waren das informationstechnisch noch finsterste Zeiten. Inzwischen haben wir, wie man tagtäglich aus vielen Quartieren zu hören bekommt, dank des Fernsehens und neuer Medien wie dem Internet eine ungeheure Helligkeit, Informationsfülle und -überfülle, Themenvielfalt und weiteste Spanne von Interessensphären und Meinungsbildungen.

Doch was geschieht? Die „one issue society“ ist keineswegs verblichen, sondern geht offenbar erst richtig los. Jung oder alt, hoch oder niedrig, weiß oder schwarz – alles stürzt sich je nach Nachrichtenlage wie wahnsinnig auf ein einziges Thema, und zwar ohne daß dabei neue oder wenigstens genauere Erkenntnisse über dieses Thema herauskämen. Im Gegenteil, je größer der konzentrierte Lärm, um so mehr wird die Sache selbst verdunkelt, um so ungenierter werden wichtige, für das rechte Verständnis der Sache notwendige Tatbestände beiseite geräumt, wobei sich Politik und Medien gegenseitig die Bälle zuspielen.

Am Ende steht Panikmacherei. Falls es um außenpolitische Dinge geht, wird der momentane Gegner zum „absolut Bösen“ aufgeschminkt, den zu vernichten buchstäblich jedes Mittel recht sei, um welchen Preis auch immer. Bei inneren, speziell bei ökologischen Vorgängen regiert mittlerweile die „Katastrophenpädagogik“. „Man muß schreien, damit man überhaupt gehört wird“, lautet deren Motto. In dem berüchtigten „Kälberfall“ wurde das zum ersten Mal durchexerziert.

Einige Lohnmäster hatten sich damals, wie heute klar ist, über ein bestehendes Gesetz hinweggesetzt, wofür sie dann juristisch zur Verantwortung gezogen wurden. Dergleichen wäre früher, als es noch keine „one issue society“ gab, eine Zehnzeilenmeldung auf der letzten Seite wert gewesen. In der Ära der Panikmacherei jedoch griffen die vielen kleinen Savonarolas in der Politik und in den Redaktionen sogleich zu Formulierungen wie „dubiose Kälbermastgiganten, die die Bevölkerung vorsätzlich des Profites wegen vergiften wollen, wobei ihnen skrupellose Tierarzneimittelhändler komplizenhaft beistehen“.

Kaum einer der Panikmacher fragte indessen nach dem Verhältnis von Profitmacherei und Nachfrage, danach, ob nicht er selbst mit seinen luxurierenden Wohlstandsbedürfnissen die Hauptschuld an den Verschmutzungen und den Durchstechereien trug. Kälber wurden ja nur deshalb mit dubiosen Methoden aufgepäppelt, weil der Verbraucher auf dem Markt „schönes weißes Kalbfleisch“ forderte. Über dieses Verhalten des Verbrauchers hatten sich bis dato nur Tierschützer und Vegetarier aufgeregt – und regen sich heute noch auf, während die Katastrophenpädagogen sich inzwischen längst neuen „one issues“ zugewandt haben.

Man bringt ganz bewußt schwärzestes Aufputschvokabular in Stellung, und was der Indikativ nicht hergibt, das preßt man dem Konjunktiv ab. So etwas ist neu, so etwas hat es früher nicht einmal in der Bild-Zeitung gegeben. Die „one issue society“ mußte kommen, damit sich nun alle (und allen voran der politisch-mediale Komplex) ununterbrochen ausmalen, was „beinahe“ passiert wäre, was „sein könnte“, was „wäre, wenn“ usw. Wer sich immer nur um ein einziges Thema schart, dem fällt dieses Thema schließlich auf den Kopf und macht ihn unfähig zur Bewältigung von Gegenwart wie Zukunft gleichermaßen.

Wie meinte schon J. K. Galbraith im Jahre 1935? „Mit einem einzigen Issue kann man nur sterben.“

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