© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/14 / 24. Oktober 2014

Ein Land fürchtet den Kollaps
Liberia: Im Kampf gegen die Ebola-Seuche steht der bitterarme westafrikanische Staat mit dem Rücken zur Wand
Marc Zöllner

In Liberia stehen die Maschinen still. Nur wenige Menschen trauen sich noch auf die Straße, der Verkehr liegt lahm, Schulen und Behörden sind vorsorglich geschlossen. Knapp sieben Monate nach der ersten verzeichneten Infektion eines Patienten mit dem tödlichen Ebola-Virus steht das Land vor dem Kollaps.

Anfang dieser Woche wandte sich die liberianische Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf erstmals in einem dramatischen Appell an die Weltöffentlichkeit. „Vor elf Jahren endete unser Bürgerkrieg“, verkündete die Friedensnobelpreisträgerin von 2011 im Daily Observer, der größten Tageszeitung des kleinen westafrikanischen Staates. „Er zerstörte unsere Infrastruktur und unsere Wirtschaft und zwang die gebildete Schicht zur Auswanderung. Erst in den letzten Jahren kamen wir wieder auf die Beine. Nun droht Ebola unsere harte Arbeit zu zerstören.“

Ländliche Gebiete von Außenwelt abgeschnitten

Mit Liberia trifft die Seuche gerade die Ärmsten der Armen. Das vier Millionen Einwohner umfassende Land zählt mit einem Pro-Kopf-Einkommen von umgerechnet 650 Euro pro Jahr zu den fünf ärmsten Staaten der Welt. Rund 70 Prozent der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig; Holz, Kautschuk und Zucker zählen zu den wichtigsten Exportgütern des Landes. Aufgrund der innenpolitischen Brüchigkeit des Staates mangelt es Liberia nicht nur an Investitionen aus dem Ausland. Auch Humankapital ist rar gesät: Arbeiteten vor dem Krieg rund 3.000 liberiastämmige Ärzte im Land, waren es zu Kriegsende gerade einmal drei Dutzend.

Zwar gab es im Kampf gegen das Ebola-Virus vergangenen Freitag erstmals gute Nachrichten zu verzeichnen, als die Weltgesundheitsbehörde WHO mit Senegal den ersten Staat Westafrikas für seuchenfrei erklärte. Drei Tage später konnte mit dem bevölkerungsreichen Nigeria sogar das zweite Land von der Risikoliste gestrichen werden. Dort grassierte zuletzt die Furcht, die Krankheit könne sich innerhalb der dicht besiedelten Millionenmetropole Lagos zu einer Epidemie entwickeln. Am Ende bestätigten sich jedoch lediglich 19 Verdachtsfälle, von denen sieben an ihrer Infektion verstarben.

Doch in Liberia ist man ferner denn je von solchen Glücksnachrichten. Ebenso wie das benachbarte Sierra Leone sind mittlerweile bis auf die im äußersten Osten des Landes gelegene Region Grand Gedeh sämtliche Provinzen vom Ausbruch des Ebola-Virus betroffen. Von den weltweit rund 9.000 gemeldeten Fällen stammt die Hälfte aus dem eigenen Land, bis Mitte Oktober zählte die WHO fast 2.500 Tote.

„Die Dunkelziffer ist jedoch noch weitaus höher, sicher das Fünf- oder Sechsfache“, erklärt der FDP-Politiker Tobias Huch im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Der Jungliberale aus Mainz ist seit 2011 Honorarkonsular der Ständigen Vertretung Liberias bei den Vereinten Nationen. Mit Kritik hält er sich trotz alledem nicht zurück: „In den großen Städten wie Monrovia gab es vorteilhafte Entwicklungen, insbesondere im Bildungsbereich. Doch auf dem Land hält sich noch immer der Glaube an Schamanismus. Ebola sieht man dort oft nicht als Virus, sondern als Fluch fremder Menschen. Hilfe von außen ist von daher nur selten willkommen.“

Gerüchte wie dieses grassieren tatsächlich auf den Märkten und in den sozialen Netzwerken Liberias; scheinbar sogar noch schneller als das Ebola-Virus selbst. „Das US-Verteidigungsministerium finanziert Ebolaversuche am Menschen“, erklärte Cyril Broderick, ein Pflanzenforscher von der Universität von Delaware, vergangenen Monat öffentlichkeitswirksam im Daily Observer. „Diese Versuche fanden nur wenige Wochen vor dem Ausbruch des Virus in Guinea und Sierra Leone statt.“

Die Regierung Liberias reagiert auf solche Meldungen verschreckt, die Bevölkerung selbst sieht sich zwiegespalten. Immer wieder kam es in den vergangenen Monaten zu Übergriffen aufgebrachter Einheimischer auf Ärzte und humanitäre Helfer. Nur wenige trauen sich noch in die ländlichen Gebiete. Dabei wird die Lage dort täglich ernster.

„Nach der medizinischen droht Liberia eine Hungerkatastrophe“, warnt Huch. „Die Dörfer sind aufgrund der Ebola-Vorsorge voneinander isoliert worden. Dadurch können die Arbeiter nicht mehr auf die Felder. Doch wenn in wenigen Wochen die Ernte nicht eingefahren werden kann und keine Hilfe mehr von außen kommt, drohen zivile Unruhen. Liberia könnte erneut zu einem ‘failed state’ abgleiten.“

Foto: Entsorgung im Redemption Hospital Monrovia: Mangelnde Sorgfalt und beispiellose Ignoranz behindern Erfolge im Wettlauf mit dem Tod

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