© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/14 / 24. Oktober 2014

Die Ein-Mann-Opposition tritt ab
Alternative für Deutschland: Der Rückzug von Marcus Pretzell aus dem Bundesvorstand sorgt für Spekulationen über die Gründe
Marcus Schmidt

Am Abend der Europawahl, als alle Kameras längst abgebaut waren und nur noch eine kleine Schar AfD-Mitglieder in einem Berliner Hotel den Einzug ihrer Partei in das Europaparlament feierten, war er da, der Zauber des Augenblicks. „Ich bin der Bernd“, sagte Bernd Lucke und reichte Marcus Pretzell freudestrahlend die Hand. Dieser hatte zuvor Stunden der Ungewißheit hinter sich, bevor er als siebter und letzter Europabgeordneter der AfD feststand. Wer wollte, konnte den Handschlag in der Wahlnacht als Zeichen des Neuanfangs werten. Denn das Verhältnis der beiden AfD-Politiker war zu diesem Zeitpunkt nicht das beste. Pretzell galt vielen in der Parteispitze bereits als Rebell, der sich nur schwer einordnen konnte.

Streit über die Haltung zu Rußland

Grund für diese Wahrnehmung war unter anderem der Erfurter Parteitag Ende März. Dort hätte Pretzell fast den Plan Luckes durchkeuzt, Hans-Olaf Henken als Vize in den Parteivorstand zu holen. Nur knapp setzte sich Henkel gegen Pretzell durch. Die Begeisterung über diesen „Putschversuch“ hielt sich in Grenzen. Pretzell wurde schließlich zum Beisitzer gewählt. Doch damit ist es nun vorbei. In der vergangenen Woche trat Pretzell von diesem Amt zurück. Begründung: „In Zukunft möchte ich meine Arbeitskraft in den Landesverband NRW investieren“, teilte Pretzell mit, der AfD-Landeschef in NRW ist.

Hat Lucke also den Machtkampf für sich entschieden und Pretzell aus dem Vorstand gedrängt? Daß Pretzell und Lucke eine gemeinsame Erklärung veröffentlichten, in der beide eben dies bestreiten, machte Beobachter erst recht mißtrauisch. Der frühere Landesvorsitzende von NRW, Alexander Dilger, der Pretzell in herzlicher Abneigung verbunden ist, bezeichnete die zwei knappen Sätze denn auch als „wenig glaubhaft“. Vor allem die Versicherung der beiden, sie seien sich „in den politischen Zielen der AfD völlig einig“, sorgte für Irritationen. Denn unbestritten gibt es sehr wohl inhaltliche Differenzen zwischen Lucke und Pretzell.

Etwa in der Haltung zu Rußland. Während Lucke im EU-Parlament einer rußlandkritischen Resolution zustimmte, und dafür reichlich Prügel von der Parteibasis und Vorstandskollege Alexander Gauland einstecken mußte, stimmte Pretzell dagegen. Mehr noch: Auf seiner Facebook-Seite verkaufte er sein Abstimmungsverhalten als Prinzipientreue: „Ja zum Parteitagsbeschluß. Nein zu Sanktionen“. Seinen Parteifreunden, die für die Resolution gestimmt hatten und allen voran Lucke, unterstellte Pretzell damit indirekt, gegen die in Erfurt beschlossene Ukraine-Resolution, in der Sanktionen abgelehnt wurden, verstoßen zu haben. Genau dies hat vor allem Lucke immer wieder bestritten (JF 38/14).

Pretzell räumte nach seinem Rücktritt im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT denn auch politische Differenzen mit Lucke ein. Doch sie seien beide erwachsen genug, damit umzugehen. „Es gibt nur einen AfD-Abgeordneten, zu dem ich ein besseres Verhältnis habe“, beschreibt Pretzell die Verhältnisse in Brüssel.

Und in der Tat gibt es einen gewichtigeren Grund für seinen Rückzug aus dem Bundesvorstand. Pretzell hat die ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen stammende Patricia Casale als Regionalreferentin eingestellt. Das Pikante daran: Casale ist Vize-Chefin der AfD und damit ebenfalls Mitglied des Bundesvorstandes. Dadurch sei ein „Abhängigkeitsverhältnis“ zwischen den beiden entstanden, hielten Kritiker in der Partei Pretzell vor. Es habe die deutliche Aufforderung gegeben, die Sache zu klären, berichtete Pretzell. „Dem sind wir nachgekommen. Daß ich zurücktrete, hat aber wohl keiner erwartet.“ Pretzell ist nicht der erste Europaparlamentarier der AfD, dem die Auswahl seiner Mitarbeiter Probleme eingebrockt hat. Der baden-württembergische Landeschef Bernd Kölmel zog im Sommer den Zorn der Basis auf sich, als er zwei Mitglieder des Landesvorstandes nach Brüssel holen wollte. Beide traten schließlich von ihren Parteiämtern zurück. In der Partei wurde nun auch von Anhängern Pretzells darauf verwiesen, daß dieser auch zu den Kritikern Kölmels gehört hatte.

Seit seiner Wahl zum Beisitzer wurde Pretzell von den Parteimitgliedern, die Lucke nicht nur wegen dessen Abstimmungsverhalten bei der Rußland-Resolution kritisch gegenüberstehen, zu einer Art Ein-Mann-Opposition im Bundesvorstand stilisiert. Manche sahen in ihm bereits einen möglichen Gegenkandidaten zu Lucke bei der im kommenden Jahr anstehenden Neuwahl der Parteispitze.

Doch davon will Pretzell nichts wissen. „Ich hatte nie vor, gegen Lucke zu kandidieren,“ sagte er. „Die einen haben einen Machtkampf zwischen Lucke und mir im kommenden Jahr gefordert, die anderen haben ihn gefürchtet“, beschreibt Pretzell seine Wahrnehmung. Das habe die Partei belastet. Es sei ein schöner Nebeneffekt seines Rückzuges, daß dies nun aufhören werde. Spekulationen, er könne trotz seines Rücktrittes im kommenden Jahr gegen Lucke antreten, trat er entgegen. „Es wäre doch taktisch unsinnig, ein halbes Jahr vorher zurückzutreten.“ Und er würde es als Beleidigung empfinden, wenn ihn jemand für so blöd hielte.

Ebenso falsch erscheint es allerdings, Pretzell bundespolitisch abzuschreiben. Der NRW-Landeschef bleibt einer der wichtigsten AfD-Politiker, dem schon im Januar beim Satzungsparteitag in Hamburg eine entscheidende Rolle zufallen könnte. Wie gut das Verhältnis zwischen ihm und Lucke tatsächlich ist, könnte sich schon an diesem Wochenende zeigen. Dann kann Pretzell den AfD-Chef auf dem NRW-Landesparteitag in Bottrop begrüßen.

Foto: Ex-Vorstandskollegen Marcus Pretzell (l.) und Bernd Lucke: „Ich hatte nie vor, gegen ihn zu kandidieren“

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