© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/14 / 24. Oktober 2014

Armee a.D.
Politik und Gesellschaft haben die Bundeswehr lange Zeit vernachlässigt. Das rächt sich nun bitter
Paul Rosen

Deutschland ist die stärkste Macht in der Europäischen Union. Aber während andere Mächte Militäreinsätze durchführen und zusammen mit den Amerikanern gegen den Islamischen Staat (IS) vorgehen, bleiben die Deutschen in der Deckung. Sie müssen es auch, weil ihre Flugzeuge nicht fliegen, ihre Schiffe nicht fahren und ihre Panzer klapprig sind.

Öffentliche Aufregung über den weitgehenden Zusammenbruch der Verteidigungsfähigkeit und den Verlust der Fähigkeit, selbst Rettungs- oder Hilfseinsätze weit entfernt von der Heimat durchführen zu können, bleibt aus. Denn aus dem fest zum westlichen Bündnis stehenden Deutschland ist längst ein sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer geworden. Im Land lebt, ja lümmelt sich eine postheroische Zivilgesellschaft, die Begriffe wie Kameradschaft, Opfer und Tod verdrängt hat und auch einen Feind nicht mehr kennen beziehungsweise erkennen will. Das Ergebnis sind täglich grotesker werdende Erlebnisse für Soldaten und die wenigen noch an Sicherheitspolitik interessierten Bürger.

Da redet eine sich ausschließlich selbst inszenierende Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) von Kindertagesstätten bei der Bundeswehr und propagiert damit so etwas Unsinniges wie familienfreundliche Kriegsführung. Naive und außenpolitisch blinde Politiker hofften in einer aggressiver werdenden Welt auf „moderate Taliban“ (Kurt Beck, SPD) oder meinen wie der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Norbert Röttgen (CDU), es komme auf die „politische Zuverlässigkeit“ Deutschlands an, wenn schon die Panzer und Flugzeuge schrottreif sind.

Der Niedergang der Bundeswehr, der stellvertretend auch für den Niedergang in anderen Lebensbereichen wie dem Bildungswesen und der Industrie steht, nahm seinen Anfang mit der Wiedervereinigung 1990, mit der deutsche Politiker die Friedensdividende kassieren wollten, nachdem sie jahrzehntelang teilweise widerwillig überdurchschnittlich hohe Summen für Verteidigungslasten ausgeben mußten. Das Erlebnis des Wegfalls der Bedrohung durch die Sowjetunion ließ die Politik nachlässig und zugleich abenteuerlustig werden. Nachdem deutsche Soldaten außer für den Einsatz gegen Hochwasser und zum Wegräumen von umgestürzten Bäumen im Inland zu nichts mehr zu verwenden zu sein schienen, hatte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) 2002 die verhängnisvolle Idee: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.“

Fortan regierte der Aktionismus, und von Landesverteidigung redete kein Mensch mehr. Soldaten wurden ausgeschickt, wo es opportun zu sein schien. Ob dies deutschen Sicherheitsinteressen entsprach, wurde nicht diskutiert. Die Sicherheitsinteressen wurden nicht einmal mehr formuliert. Als Bundespräsident Horst Köhler Wirtschaftsinteressen und Militäreinsätze in einen Zusammenhang rückte, war die Kritik so gewaltig, daß Köhler sich ins Privatleben zurückzog.

„Die (meisten) Deutschen sind inzwischen in der Wolle gefärbte Pazifisten“, stellte der Historiker Michael Wolffsohn fest. Ausgerechnet in der rot-grünen Regierungszeit hatte es Ausnahmen gegeben. Steuerte Deutschland zu früheren internationalen Militäroperationen im Regelfall nur Zelte, Feldbetten, Sanitätseinheiten und Funker bei, so änderte sich dies im Jugoslawienkrieg dramatisch: Deutsche Kampfflugzeuge waren am Krieg gegen Jugoslawien beteiligt, Leopard-Panzer rollten ins Kosovo.

Kanzler Gerhard Schröder sicherte den Vereinigten Staaten 2001 die „uneingeschränkte Solidarität“ Deutschlands zu. Der Begriff würde der heutigen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gewiß nicht mehr über die Lippen kommen. „Aus der bellizistischen Oppositionspolitikerin, die sich 2003 an der Seite Bushs präsentiert hatte, wurde die Kanzlerin, die dem Antimilitarismus der Deutschen weit entgegenkam“, befand Die Zeit. Merkel regiert in wechselnden Koalitionen seit 2005. Um jegliche Zusagen den Verbündeten gegenüber hat sie sich seither erfolgreich gedrückt. Als die internationale Gemeinschaft 2011 gegen Libyen losschlagen wollte, reagierte die deutsche Regierung im UN-Sicherheitsrat mit einer Enthaltung und machte damit auch dem letzten Beobachter klar, daß sie die Standfestigkeit eines Wackelpuddings hat.

Mit der äußeren Demilitarisierung beim Gerät, für die Merkel in ihrer langen Regierungszeit Mitverantwortung trägt, ging die innere Demilitarisierung einher. Der deutsche Soldat ist inzwischen ein Soldat ohne Tradition. Vorbilder wie der in allen Luftwaffen der Welt verehrte Jagdflieger Werner Mölders wurden ihm genommen. Für die Verwurzelung der Armee im Volk war die Wehrpflicht unverzichtbar. Sie wurde im Handstreich und zunächst ohne gesetzliche Grundlage abgeschafft. Durch die Ausdünnung der Bundeswehr und die damit verbundenen Kasernenschließungen ist die Armee in der Fläche und damit im Volk nicht mehr präsent.

Das Prinzip des Staatsbürgers in Uniform und das Konzept der Inneren Führung beginnen sang- und klanglos unterzugehen. Das Prinzip der Parlamentsarmee, die nur mit Zustimmung des Bundestages in Einsätze darf, wird ausgehöhlt. Über die jüngsten Kapriolen von der Leyens, Soldaten in die Ukraine und in den Irak zu schicken, gab es nicht einmal mehr eine parlamentarische Beratung. Zum Ergebnis des Verfalls gehört auch eine feige Generalität, die es nicht wagt, Dinge öffentlich anzusprechen, sondern der Politik nach dem Munde redet.

Die Politik wiederum aalt sich im Pazifismus der Gesellschaft, hat Opportunismus zum obersten Prinzip erkoren und leugnet Pflicht, Verantwortung und Bündnistreue. Das kann und wird nicht gutgehen.

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