© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

Informieren und indoktrinieren
Europe Direct: Flächendeckend wirbt die EU-Kommission für das Projekt Europa
Stefan Michels

Weniger als den Preis einer Tasse Kaffee, das sollte Ihnen der Betrieb der Europäischen Union täglich doch wert sein, wirbt die Europäische Kommission auf ihrer Netzseite für ihre eigene Bescheidenheit. Mit 142 Milliarden Euro liegt das gesamte EU-Budget 2014 deutlich unter dem Umfang des Bundeshaushalts. Die Summe entspricht rund einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das 500 Millionen Europäer in den 28 Mitgliedstaaten erwirtschaften.

Vorteile der EU werden in den Fokus gestellt

Was die Kommission jedoch nicht erwähnt, ist, daß die Entwicklung des EU-Haushalts historisch nur eine Richtung kennt: steil nach oben. 1960 lagen die Gemeinschaftsausgaben noch bei 0,03 Prozent des gemeinsamen Bruttosozialproduktes. Allein bis 1995 erhöhte sich die Pro-Kopf-Belastung der Bürger durch Brüssel um den Faktor 750. Bis zum Jahr 2020 wird der planmäßige Finanzbedarf der EU auf 167 Milliarden Euro ansteigen.

Der Geldsegen erlaubt es der EU-Kommission, europaweit eine direkte Präsenz vor Ort aufzubauen. Ein Netz von lokalen Informationsbüros soll den Einwohnern lebensnah die Vorzüge der Vergemeinschaftung vermitteln und als „Schnittstelle“ zwischen Brüssel und Bürger fungieren: „Wir wollen, daß den Menschen die Rechte und Vorteile, die ihnen Europa bringt, bewußt sind, damit sie diese nutzen können. Gleichzeitig wollen wir sie ermuntern, sich eine Meinung zu bilden und die EU politisch mitzugestalten“, erklärte Matthias Petschke, der Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, im Januar 2013 anläßlich der Neuorganisation der Europe-Direct-Informationszentren (EDI).

Europe Direct unterhält EU-weit in knapp 500 Städten Büros, die als Anlaufstellen in Sachen Europäische Union dienen. 55 davon befinden sich in Deutschland. Regionalvertretungen in Berlin, Bonn und München decken zudem den Osten, Westen und Süden der Republik flächendeckend ab. Betrieben werden diese Zentren von Städten und Kreisen, aber auch EU-philen Vereinen und Firmen, die mit der EU-Kommission mehrjährige Verträge abgeschlossen haben und für den Unterhalt bis zu 25.000 Euro jährlich überwiesen bekommen.

Parallel zu den örtlichen Niederlassungen betreibt Europe Direct allerdings eine zentrale Auskunftsstelle, die in ihrem jährlichen Rechenschaftsbericht detailliert über Umfang und Art der Erkundigungen Auskunft gibt. Wir erfahren, daß 2013 112.000 Anfragen eingegangen sind, davon ungefähr zwei Drittel über E-Brief und ein Drittel telefonisch. Aus Deutschland kamen immerhin elf Prozent aller Anfragen. Zu den wichtigsten Themen gehörten die Institutionen und Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Beschäftigung und Soziales, Justiz, Menschenrechte und Staatsangehörigkeit sowie die Rechte von Fluggästen.

Neben Informationen zur Struktur, Funktionsweise und Politik der Europäischen Union bieten die Geschäftsstellen als Kernleistung Unterstützung bei der Suche und Beantragung von EU-Fördergeldern für Organisationen und Firmen bei Vorhaben aller Art, etwa in den Bereichen Wirtschaft, Innovation, Forschung, Verkehr oder Kultur.

Diese Geldmittel fließen im Rahmen von EU-Förderprogrammen, die das allgemeine Projektziel umreißen und zudem weitere Vorgaben machen. Eine häufige Vertragsbedingung ist die Zusammenarbeit mit Partnern aus einem anderen Mitgliedstaat zur Verstärkung von grenzübergreifenden Kooperationen. Die Kommunen, die miteinander um die EU-Gelder konkurrieren, haben am Abruf der Fördermittel ein Interesse, um den eigenen Standort wirtschaftlich oder strukturell zu stärken.

Unter der Gießkanne europäischer Finanzmittel treibt freilich auch manches ideologisch aufgeladene Projekt seine Blüten. So organisieren die drei brandenburgischen Europe-Direct-Zentren seit Jahren einen „Europa-Malwettbewerb“, bei dem die europäische Idee aber seltsamerweise nicht im Mittelpunkt steht. Das Motto „Erste, zweite, dritte Welt? – Europa für die EINE Welt“ läßt erahnen, daß ein vereinigtes Europa gar nicht mehr als das eigentliche Ziel, sondern diffus als Vorstufe für den allumfassenden Weltbürgerstaat verstanden wird – ein Eindruck, den der Netzauftritt von Europe Direct Potsdam mit seiner direkt darunter veröffentlichten Einladung zu einem Sommerfest mit „multikulturellem Musik- und Kulturprogramm“ eher noch unterstreicht.

Auch die Dependance in Köln besticht durch vielschichtige Aktivitäten. neben der obligatorischen kostenlosen Beratung zu EU-Themen veranstaltet sie – um Europa zu erleben – Tagesfahrten nach Brüssel. Zudem beleuchtet Europe Direct Köln die „kulturelle Vielfalt“ in Frankreichs Übersee-Département La Réunion und untersucht am 3. Dezember den „Aufstieg des europäischen Rechtspopulismus“. Mit dabei Nico Lange von der Konrad-Adenauer Stiftung, der die „Motivation der Wähler rechtspopulistischer Parteien“ schildert. Alexander Häusler von der Forschungsstelle Rechtsextremismus und Neonazismus an der FH Düsseldorf klärt die Frage, ob die Alternative für Deutschland (AfD) dem Rechtspopulismus „zuzuordnen“ sei, und Simone Rafael, Chefredakteurin vom „Netz gegen Nazis“ spricht über die „Vernetzung der rechten Szene im Internet“ und deren „Werbestrategien“.

Als weitere bürgernahe Adresse der Brüsseler Kommission präsentieren sich die über fünfzig Europäischen Dokumentationszentren (EDZ) in Deutschland, die zumeist Hochschulen angegliedert sind. Hier können die Studenten, Professoren, Experten und die interessierte Öffentlichkeit Literatur über die Politik der EU einsehen. Bestimmte Publikationen wie das Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften sind kostenlos erhältlich, zudem existiert ein freier Zugang zu mehreren EU-Datenbanken.

Unübersichtlichkeit bei den EU-Netzwerkern

Das dritte Informationsangebot, mit dem die Europäische Kommission – indirekt – auf die lokale Ebene wirkt, ist das Enterprise Europe Network (EEN). Es wurde unter der Ägide des EU-Kommissars für Unternehmen und Industrie Günter Verheugen (2004–2010) aus der Taufe gehoben. Das EEN ist nach Eigendarstellung das „größte Netzwerk von Informations- und Beratungsstellen in Europa“ für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die nach potentiellen Geschäftspartnern und Partnerunternehmen in anderen Ländern Ausschau halten. Das Kernstück ist eine Datenbank, die Profile von KMU aus allen EU-Staaten enthält. Zu den Kooperationsfeldern zählen Forschung, Produktion und Vertrieb. Bei seiner Einführung bewarb Verheugen, daß das EEN „erstmals zwei Dimensionen miteinander verknüpft: Regionen und Innovation. Bisher waren beide Bereiche voneinander getrennt, was potentielle Interessenten zwang, sich an unterschiedliche Anlaufstellen zu wenden und getrennte Verwaltungsverfahren zu durchlaufen.“

Die Vertretungen des EEN sind nicht bei Europe Direct angesiedelt, sondern bei Industrie- und Handelskammern, städtischen Agenturen zur Standortförderung, Technologiezentren und Universitäten.

Diskussionswürdig ist, daß die Datenbank auch Unternehmen aus zwei Dutzend außereuropäischen Ländern umfaßt, darunter aus China, Indien, den USA und Brasilien. Zwar können so schneller Unternehmenskooperationen zum beiderseitigen wirtschaftlichen Nutzen in die Wege geleitet werden. Gleichzeitig wird aber auch wirtschaftlichen Rivalen der Zugang zum europäischen Markt erleichtert, etwa zum Vertrieb ausländischer Produkte, während die Kosten für die Einrichtung des Netzwerks die EU trägt.

http://europa.eu/

Foto: Ex-EU-Kommissarin Viviane Reding: Bis zur EU-Wahl im Mai versuchte die Luxemburgerin den Bürgern die EU näherzubringen. Nun soll es Frans Timmermans aus den Niederlanden richten

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