© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

Verschärfte Situation
Mifa: Die Beinahe-Pleite des Fahrradherstellers zeigt, wie dünn das Eis ist, auf dem sich die Branche bewegt
Paul Leonhard

Es sieht nicht gut aus für die Mifa, die Mitteldeutsche Fahrradwerke AG. Seit das Unternehmen vor einer Woche in die Insolvenz gegangen ist, weil die Hälfte des Grundkapitals aufgebraucht war, bangen rund 800 Mitarbeiter um ihre Jobs und die Region Sangerhausen um ihren wichtigsten Arbeitgeber und Steuerzahler.

Die Geschichte des Niedergangs dieser mittelständischen Traditionsfirma erinnert auf fatale Weise an die Insolvenzphase, die der Fernsehhersteller Loewe hinter sich hat. Wie im Fall Loewe war bei Mifa ein ausländischer Investor interessiert – doch dann entpuppte sich der Firmenretter nur als Schimäre, und eine monatelange Hängepartie setzte ein.

Mifa gilt neben Derby/Cycle und Accell/Winora als einer der absatzstärksten deutschen Fahrradsteller. 2012 verkaufte das Unternehmen, dessen Geschichte bis in das Jahr 1907 zurückreicht und dessen Aktien seit Mai 2004 an der Börse gehandelt werden, 546.000 Fahrräder der Marken Mifa, Germatec, FunLiner, McKenzie und Cyco im unteren und mittleren sowie Grace und Steppenwolf im gehobenen Preissegment.

Bereits Mitte März 2014 war bekanntgeworden, daß die in Sachsen-Anhalt ansässige AG im Vorjahr einen Fehlbetrag von 15 Millionen Euro erwirtschaftet hatte. Auch in den Jahren zuvor waren Verluste aufgetreten, die aber erst jetzt bei der Erstellung der Jahresbilanz aufgefallen waren. Prompt war von Bilanzbetrug die Rede, und Vorstandsvorsitzender Hans-Peter Barth wurde abberufen. Seitdem hat sich die Situation weiter verschärft

Für Verunsicherung hatte bereits eine Mitteilung des Unternehmens gesorgt, daß die Mitte September veröffentlichten Geschäftszahlen für 2013 als „unter Änderungsvorbehalt und ungeprüft“ zu verstehen seien. Das wurde einen Tag später als Irrtum bezeichnet. Jahresabschluß und Lagebericht seien „endgültig aufgestellt“ und würden dem Jahresabschlußprüfer vorliegen.

Viel Gutes hatte der Bericht nicht zu verkünden. Zwar war der Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 2,7 Prozent auf 110,7 Millionen Euro gestiegen, gleichzeitig erhöhte sich aber der Konzernjahresfehlbetrag auf minus 13,2 Millionen (2012 minus 9,9 Millionen) Euro. Auch die Aussichten stellten sich eher schlecht dar. Bei sinkendem Umsatz wurde ein negatives Ergebnis im Geschäftsjahr 2014 prognostiziert. Auch wurde auf die fehlerhaften Bestandsbewertungen im Bereich der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffbestände sowie der fertigen Erzeugnisse in den vergangenen Geschäftsjahren hingewiesen. Allerdings war die Führung noch voller Hoffnung, mit dem Einstieg des indischen Fahrradherstellers Hero Cycles als strategischem Investor „Fortschritte bei der wirtschaftlichen Sanierung“ zu erreichen.

Mifa hatte zuvor versucht, sich mit den 2012 erworbenen Marken „Grace“ und „Steppenwolf“ besser im Markt positionieren zu können. Das erwies sich aber als kostspielig, da diese „ob ihrer hochwertigen Positionierung auch mit vergleichsweise teuren Komponenten ausgestattet werden“. Auch wurden Forschung und Entwicklung sowie Marketing und Vertrieb aufgebaut und zwei neue Fertigungsstraßen für hochwertige E-Bikes in Betrieb genommen.

Der Einstieg der Inder läßt auf sich warten

Die nüchternen Zahlen kamen am Schluß: Der Konzernjahresfehlbetrag ließ den Bilanzverlust zum 31. Dezember 2013 auf einen Betrag von minus 29,6 Millionen Euro anwachsen. Entsprechend reduzierte sich das Eigenkapital der Mifa zum Bilanzstichtag auf 3,9 Millionen Euro, was einer Eigenkapitalquote von 4,8 Prozent entspricht.

Trotzdem war Stefan Weniger, Vorstandsmitglied für Reorganisation und Sanierung, noch guter Hoffnung: Die Kapitalrestrukturierung sollte bis spätestens Ende März 2015 abgeschlossen sein.

Bei erfolgreicher Umsetzung rechnete Weniger im Geschäftsjahr 2015 mit einem leicht positiven Ergebnis. Bei diesem Prinzip Hoffnung blieb es auch, nachdem das zweite Quartal 2014 trotz Kostensenkungen beim Material- und Personalaufwand ein negatives operatives Ergebnis erbrachte. Begründet wurde das mit dem Verkauf von erheblichen Teilen des Altbestandes unter Marktwert.

Voraussetzung für ein Weiterbestehen wäre der Einstieg der Inder, durch die das „dringend benötigte Restrukturierungskapital“ generiert werden sollte. Hero Cycles wollte 89 Prozent der Anteile von Mifa für 15 Millionen Euro erwerben, doch noch immer gibt es keine abschließende Lösung. Das Handelsblatt berichtete bereits von Gerüchten, nach denen sich die Inder lediglich „Fertigungsprozesse und Know-how abgeschaut“ hätten und beim „Bau einer neuen Fabrik in Indien angewandt“ hätten.

Vor einer Woche nun überschlugen sich die Ereignisse: Am Mittwoch stimmte das Amtsgericht dem Insolvenz-antrag in Eigenregie zu, so wie es die Gläubiger empfohlen hatten. Weniger konnte aufatmen. Er teilte mit: „Wir sehen einer weiterhin vertrauensvollen und konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Sachwalter, den Organen der Gesellschaft, dem vorläufigen Gläubigerausschuß und allen übrigen Anspruchsgruppen der Mifa entgegen.“

Firmenvorstand Weniger überraschend abberufen

Zumindest für ihn persönlich war es nur eine kurze Verschnaufpause: Am Donnerstag hat der Aufsichtsrat Weniger abberufen. Alleinvorstand ist jetzt Thomas Mayer, der zeigen muß, was ihn ihm steckt. Noch ist nicht aller Tage Abend. Der Fall Loewe hat gezeigt, daß eine Firma auch nach jahrelanger Durststrecke wieder zurückkommen kann. Auf der jüngsten Funkausstellung legte das bayerische Unternehmen einen Neustart hin – nachdem ein Investor es aus der Insolvenz gerettet hatte.

 

Die Deutschen und das Fahrrad

Jedes Jahr werden in Deutschland rund vier Millionen Fahrräder verkauft. Das sind mehr als Pkw‘s (2012: 3,1 Millionen Neuanmeldungen). Allerdings verbringen die Deutschen mehr Zeit im Auto, so daß Autos bei der Zahl der registrierten Fahrzeuge im Straßenverkehr die Fahrräder stark übersteigen.

Der Gesamtumsatz des Fahrradhandels macht etwa fünf Milliarden Euro aus. Etwa drei von vier Fahrrädern werden aus dem Ausland importiert. Deutsche Fahrradproduzenten versuchen sich teilweise als Premiummarke zu positionieren, um sich von der Konkurrenz aus Billiglohnländern abzusetzen. Die Branche hat mit teilweise drastischen Preissteigerungen zu kämpfen. So stieg der durchschnittliche Verkaufspreis für eine Fahrrad nach Angaben des Verbundes Service und Fahrrad allein zwischen 2008 und 2010 um 19 Prozent. Die Käufer geben im Durchschnitt etwa 600 Euro für ein Fahrrad aus.

Foto: Verkehrsmittel Fahrrad, Radweg in Berlin-Pankow: Trotz steigender Nachfrage im Inland schwächelt die deutsche Fahrradindustrie Verkehrsleistung

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