© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Die bedrohlichen Prinzipien von 1789
225 Jahre nach ihrem Ausbruch: Johannes Willms legt eine Gesamtdarstellung der Französischen Revolution von 1789 und der folgenden Jahre des Terrors vor
Dag Krienen

Kaum ein Jahr nach Ausbruch der Revolution in Frankreich wurde ihr von einem bedeutenden britischen Parlamentarier ihr Schicksal vorausgesagt: „Unter der Ohnmacht eines Teils der Regierung und unter dem Schwanken aller andern Teile werden sich die Offiziere der Armee eine Zeitlang mit einzelnen Empörungen und Meutereien begnügen, bis irgendein allgemein beliebter General, der die Kunst versteht, den Soldaten zu fesseln und der den wahren Geist eines militärischen Befehlshabers besitzt, es dahin bringen wird, aller Augen auf sich allein zu richten. (...) Von dem Augenblick aber, da dies geschehen wird, muß der Mann, der die Armee wirklich kommandiert, auch Meister alles übrigen werden; er muß Herr (...) der gesetzgebenden Versammlung, Herr der ganzen Republik sein.“

Edmund Burke leitete 1790 diese Prophezeiung in seinen „Betrachtungen über die französische Revolution“ aus der Überzeugung ab, daß die revolutionäre Ideologie der unbeschränkten Menschenrechte keine stabile und allseits als gerecht empfundene Ordnung stiften könne, sondern nur zu einer Entfesselung in wechselseitiger Eskalation immer größer werdender individueller und gesellschaftlicher Ansprüche und Ambitionen führen werde. Am Ende bliebe nur noch nackte Gewalt zur Durchsetzung von politischen Zielen und Gesetzen übrig. „Nach den Anlagen dieser barbarischen Philosophie (...) sollen sich Gesetze bloß durch ihren eigenen Terror halten. In den Bogengängen ihrer Akademien, am Ende eines jeden ihrer Prospekte ist nichts weiter zu sehen – als der Galgen.“ In diesem Punkt irrte Burke freilich: es war nicht der Galgen, sondern die Guillotine.

Johannes Willms hat in seinem soeben erschienenen Buch „Tugend und Terror“ über die Französische Revolution jene entfesselte destruktive Dynamik, die der Brite jenseits des Kanals so früh durchschaute wie er ihr Ergebnis voraussah, im Detail nachvollzogen. Daß Burke darin nicht erwähnt wird, dürfte daran liegen, daß Willms rein ereignisgeschichtlich vorgeht und jede methodische Reflexion vermeidet. Der Brite, der kein sehr intimer Kenner Frankreichs war, sondern auf der Basis seiner fundamentalen Einsichten in das Wesen von Politik und Gesellschaft urteilte, fällt damit ebenso unter den Tisch, wie alle seine Nachfolger, die die Revolution bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgen sahen.

Willms Konzentration auf das politische Geschehen und die politischen Akteure mag Fachhistoriker stören, ist aber nach Jahrzehnten der Vorherrschaft von Struktur- und Diskursgeschichte wohltuend, zumal er die Wirkung von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen keineswegs unterschlägt. Es gelingt ihm vielmehr, die Vorgeschichte der Revolution sowie die zehn Jahre von 1789 bis 1799 in einer gefälligen, gut lesbaren gleichwohl konzisen Form dem Leser nahezubringen. Die Lektüre ist so auch für Kenner der Revolution noch lohnend, auch wenn Willms keine unbekannten Quellen erschließt und keine aufregenden neuen Erkenntnisse zu verkünden hat.

Willms, als Historiker bei Reinhart Koselleck ausgebildet, um dann als als Journalist zu arbeiten, unter anderem 1993 bis 2000 als Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung, gilt als intimer Kenner der französischen Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Er hat in den letzten Jahren Biographien Napoleons I., Napoleons III., Talleyrands, Balzacs und Stendhals sowie ein Buch über den „Napoleonmythos“ veröffentlicht. In seinem jüngsten Werk gilt sein besonderes Interesse jener Phase, in der die Revolution zwischen 1792 und 1794 unter dem Einfluß der Jakobiner und insbesondere Robespierres immer mehr terroristische Züge annahm.

Der Autor stellt klar, daß dieser „Terreur“ nicht Ausfluß eines objektiven Notstandes aufgrund gegenrevolutionärer innerer und äußerer Bedrohungen war, diese vielmehr teils bewußt herbeigeführt, teils imaginiert waren, um die Revolution weiter vorantreiben zu können. Was Burke als ihre „homicide philanthropy“, als menschenmörderische Menschenliebe bezeichnete, ist für Willms ein Produkt der permanenten Wirklichkeitsverweigerung der Jakobiner und Robespierres, der zudem persönlich Züge einer Paranoia zeigte.

Sie waren unfähig, die realen politischen und wirtschaftlichen Probleme Frankreichs zu lösen, und unwillig, die fortwährenden politischen Aufspaltungen des revolutionären Lagers zu akzeptieren. Stattdessen sahen sie immer mehr überall nur noch „Feinde“ am Werk, die ihr großes Werk der Menschenliebe zerstören wollten. So verkündete Robespierre schließlich, daß der „Terror“ nichts anderes sei als eine Emanation der politischen „Tugend“, und handelte dementsprechend. Am Ende galt jeder, „der zittert“, als schuldig, der Terror fragte nicht mehr nach persönlicher Schuld, sondern sollte dazu dienen, jedwedes menschliche Hindernis der Revolution beiseite zu schaffen.

Vieles von dem, was Willms zu berichten weiß, einschließlich der Liquidierung von immer mehr alten Revolutionshelden und ihre Ersetzung durch farblose Bürokraten, klingt wie eine Vorwegnahme der Entwicklung in der stalinistischen Sowjetunion. Mit dem einen Unterschied, daß sich im revolutionären Frankreich auf dem Höhepunkt des Mordens noch genug Männer fanden, die, wenn auch aus Furcht, dem Treiben des „unbestechlichen“ obersten Tugendwächters im Juli 1794 ein Ende setzten und ihn selbst unter das Fallbeil legten.

Der Schock der Zeit, in der, wie ein Augenzeuge schrieb, „kein Bürger die Gewißheit hat, in zwei Tagen noch am Leben zu sein“, saß tief, tief genug, um ein späteres Wiederaufleben des Großen Terrors zu verhindern. Andererseits blieben die akuten politischen Probleme des Landes ohne Lösung, während seine politische Spaltung noch intensiviert worden war. Die schwache Direktoratsregierung ab 1795, die nach allen Seiten lavierte, wurde so 1799 ein leichtes Opfer des Militärputsches eines „allgemein beliebten Generals“ namens Napoleon Bonaparte.

Willms stellt keine Vergleiche mit der russischen Revolution an. Doch gibt es Hinweise, daß seine Darstellung der Französischen Revolution nicht rein antiquarischem Interesse entspringt. So wenn er ihren Ausbruch als Folge von dysfunktional gewordenen gesellschaftlichen Zuständen beschreibt, deren rechtzeitige Reform durch die gegenseitigen Blockaden privilegierter Gruppen verhindert wurde. Oder wenn er den frühen Beginn „einer Political Correctnes, über deren Respektierung die Revolution von nun an mit terroristischer Inbrunst wachen sollte“, konstatiert.

Und auf wen mag er anspielen, wenn er feststellt, daß die für die Septembermorde 1792 verantwortlichen „Schlächter“ sich aus „den Sektionen [der Commune de Paris], deren Mitglieder sich schon bei diversen Unruhen hervorgetan hatten“, rekrutierten? Nein, zu Ende ist die Geschichte der Revolution, deren Versprechen, wie Willms in seinem Schlußsatz feststellt, „trotz aller Irrwege seit nunmehr rund 200 Jahre die Hoffnungen der Menschen beflügelt“, bei weitem noch nicht. Auch weil, wie es – von Willms wenige Zeilen zuvor zitiert – Napoleon formulierte, „die „Doktrinen, die man die Prinzipien von 1789 nennt (...) für immer eine bedrohliche Waffe in den Händen der Unzufriedenen, der Ehrgeizigen und der Ideologen aller Zeiten sein“ werden. Burke hätte dem zugestimmt: auch die Zeit der „homicide philanthropy“ ist noch lange nicht abgelaufen.

Johannes Willms: Tugend und Terror. Geschichte der Französischen Revolution Verlag C. H. Beck, München 2014, gebunden, 831 Seiten, 29,95 Euro

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