© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Knapp daneben
Auch Politiker dürfen Karriere machen
Karl Heinzen

Nach Dirk Niebel, der in Kürze für den Rheinmetall-Konzern tätig wird, ist es einem weiteren FDP-Kabinettsmitglied aus Zeiten der seligen schwarz-gelben Koalition gelungen, eine interessante Stelle in der Wirtschaft zu ergattern. Ab November darf sich Daniel Bahr als Generalbevollmächtigter um das Leistungsmanagement und die Zentrale Vertriebskoordination der Allianz Private Krankenversicherung kümmern.

Jeder Politiker, der nach dem Ausscheiden aus einem öffentlichen Amt nicht in Untätigkeit verfällt, sondern an anderer Stelle in unserer Gesellschaft Verantwortung übernimmt, muß heute damit rechnen, daß ihm Haß entgegenschlägt. Bei Daniel Bahr nimmt dieser jedoch infernalische Ausmaße an. Wo der militaristische Teppichschmuggler Niebel bloß Häme erntete, wird gegen ihn der Verdacht gesät, er habe als Gesundheitsminister wohl die privaten Krankenversicherungen begünstigt und heimse dafür nun den Lohn ein.

Wollte sich ein Unternehmen bei einem Politiker für Gefälligkeiten bedanken, gäbe es dafür andere Wege

Diese Unterstellung mag vielen Bürgern einleuchten, weil sie ihre Vorurteile über die Politik bedient. Sie ist jedoch wirklichkeitsfremd. Wollte sich ein Unternehmen bei einem Politiker für Gefälligkeiten bedanken, gäbe es dafür zahlreiche Wege. Ausgeschlossen ist jedoch, daß es das Risiko eingeht, ihm eine Führungsposition anzuvertrauen, von der sein wirtschaftlicher Erfolg abhängt. Gerade weil die Allianz erwarten durfte, daß die Berufung von Bahr Kritik auslösen würde, muß sie von ihm besonders überzeugt gewesen sein. Seine Fachkompetenz und sein beruflicher Werdegang sprechen in der Tat für ihn.

Der „Fall Bahr“ läßt daher ganz andere Schlußfolgerungen zu: Wenn ein 37 Jahre alter Hoffnungsträger der FDP sich aus der Politik verabschiedet, scheint er seiner Partei keine Zukunftschancen mehr einzuräumen. Und nicht zuletzt: Jeder Politiker, der in die Wirtschaft wechselt, widerlegt das gehässige Gerede, in Regierung und Parlament säßen bloß abgehobene Parteifunktionäre, die es im wirklichen Leben nie zu etwas brächten. Dies ist für Bürger, die nach Sündenböcken für ihr eigenes Alltagsversagen suchen, kaum zu ertragen.

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