© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Arbeit an der „großen Verwandlung“
Zum 125. Geburtstag des katholischen Modernekritikers Erich Przywara
Stefan Voss

Während der Weimarer Republik war der am 12. Oktober 1889 im oberschlesischen Kattowitz geborene Kaufmannsohn Erich Przywara die herausragende Gestalt unter den katholischen Denkern. Heute, zum 125. Geburtstag, ist der streitbare Jesuit allenfalls noch Spezialisten bekannt, die sich für die Geschichte der geistigen Erneuerung des Katholizismus seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert interessieren.

Daß Przywara in Vergessenheit geriet, dürfte am Fehlen eines konsistenten theologischen Werkes liegen. Von seiner Metaphysik, der „Analogia entis“, erschien 1932 nur der erste Band, ebenso unabgeschlossen blieb seine „Typologische Anthropologie“ (1959). Beiden monographischen Versuchen ist überdies anzumerken, daß ihr Verfasser kein System-, sondern ein Problemdenker war, den Probleme primär in tagesaktueller Verkleidung stimulierten. Eine Eigenheit, die sich wiederum konsequent aus dem publizistischen Zentrum seiner Autorschaft ergab.

Denn Przywara war, unmittelbar nach dem philosophisch-theologischen Studium, zugebracht am Jesuitenkolleg im holländischen Valkenburg, 1922 in die Redaktion des Jesuiten-Organs Stimmen der Zeit berufen worden. Als ihr überragender Kopf gewann dieser polemisch timbrierte Zeitkritiker bald ein kantiges Profil, und er baute den von ihm fleißig beschickten Rezensionsteil so stark aus, daß die Zeitschrift sich auf den Kampfplätzen des Geistes in den zwanziger Jahren als wichtigstes katholisches Forum etablierte.

An öffentlicher Präsenz kam ihm zudem niemand gleich. Przywara fehlte auf kaum einer die „geistige Situation der Zeit“ erörternden Tagung im deutschsprachigen Mitteleuropa. Zu den als internationale Ereignisse zelebrierten Davoser Hochschulkursen, wo er mit Martin Heidegger und Ernst Cassirer disputierte, reiste er so pünktlich an wie zu Universitätswochen im provinziellen schlesischen Rahmen. Allein von 1922 bis 1932 hielt der rastlose Jesuit knapp 250 Vorträge zwischen Genf und Neiße, Wien und Münster.

Wie der gesundheitlich labile Asket in derselben Zeitspanne 220 Aufsätze und 18 zum Teil kompendiöse Bücher und Editionen in den Druck geben konnte, neben Redaktionstätigkeit und manischer Produktion von Rezensionen, alles selbstredend ohne Sekretärin, muß aus der Rückschau des Internet-Zeitalters wie ein Wunder anmuten.

Nach 1945, von München ins Oberbayerische umgesiedelt, engte sich Przywaras Aktionsradius zwar erheblich ein, doch erreichte er seit 1951 mit Dutzenden von Rundfunkvorträgen vermutlich ein größeres Publikum als je zuvor.

Bemerkenswerter Zuspruch im protestantischen Lager

Wie für seinen Altersgenossen, den abtrünnigen Katholiken Heidegger, gingen auch für Przywaras Denken die entscheidenden Impulse vom Gefühl aus, „alles wackelt“ (Ernst Troeltsch). Von elementaren Erschütterungen tradierter Lebensverhältnisse, wie sie die Umwandlung des agrarischen in das industrielle Deutschland ausgelöst hatte. Für zusätzliche Verunsicherungsschübe sorgten seit 1918 die Kriegsniederlage, das Ende der Monarchie und die chronisch kriselnde Wirtschaft. Aber anders als der Philosoph Heidegger vertraute der Theologe Przywara auf die christliche Religion und die katholische Kirche, um der als „Katastrophe“ erfahrenen Moderne zu entkommen. Der Maßstab seiner kulturkritischen Gegenwartsdiagnosen blieb daher stets die Frage nach den Möglichkeiten humaner Existenz jenseits der als unheilvoll erlebten Ökonomisierung und radikalen Technisierung des Daseins.

Mit unablässigen Attacken gegen die moderne Weltanschauung und deren tragende Säulen Materialismus, Liberalismus, Individualismus, mit seiner Erwartung, das Äon der verderbten Neuzeit erlebe bald die „große Verwandlung“. So artikulierte Przywara nicht allein die Wünsche der Mehrheit der katholischen Intellektuellenkreise und großer Teile des Laienvolks in Deutschland, sondern fand, nicht zuletzt als scharfsinniger Interpret des existentialistischen Erzvaters Sören Kierkegaard, auch bemerkenswerten Zuspruch im protestantischen Lager sowie in den religiös indifferenten bis atheistischen Zirkeln der „Konservativen Revolution“.

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