© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Erzählen, was gewesen ist
Nachruf: Siegfried Lenz ist mit 88 Jahren verstorben
Thorsten Hinz

Mit Siegfried Lenz, der am Dienstag dieser Woche 88jährig in Hamburg gestorben ist, tritt einer der letzten aus der Gründergeneration der westdeutschen Nachkriegsliteratur ab. Wie die meisten, die ihr angehörten, hatte auch Lenz im jungen Erwachsenenleben Furchtbares durchgemacht. „Der wird nie aufhören, der Krieg, (...), für uns, die wir dabei waren, wird er nie aufhören“, sagt ein junger, verzweifelter Funkmaat am Ende der 1983 erschienenen Erzählung „Ein Kriegsende“.

Lenz, der aus der ostspreußischen Stadt Lyck stammte, hatte zusätzlich den Heimatverlust zu verkraften. 1955 veröffentlichte er das Büchlein „So zärtlich war Suleyken“, eine Sammlung von 20 masurischen Geschichten, in denen der Autor mit Humor und verhaltenem Schmerz ein ostpreußisches Seldwyla aufleben ließ. Hier stehe „das bewährte Mittel der Übertreibung im Dienste der Wahrheitsfindung“, fügte er in einem Nachsatz hinzu. Es war nicht sein größtes, aber sein populärstes Werk.

Wie Heinrich Böll oder Günter Grass überzeugte Lenz am meisten, wenn er versuchte zu erzählen, was gewesen war, und der Versuchung widerstand, aus dem Erlebten eine Geschichtsphilosophie, Moral oder politische Lehre abzuleiten. In den Romanen gab er dieser Versuchung, die ein Charakteristikum der Zeit war, leider oft nach. So in der „Deutschstunde“, in deren Mittelpunkt ein Emil Nolde nachgebildeter, in der NS-Zeit als „entartet“ geltender Maler steht, der vom Dorfpolizisten und Vater des jungen Ich-Erzählers überwacht wird. Wie wenig Verlaß auf den Zeitgeist ist, mußte der hochbetagte Lenz in diesem Frühjahr erleben, als Kritiker ihm vorwarfen, Nolde, der ein Nationalsozialist gewesen war, „verharmlost“ zu haben (JF 20/14).

In dem Roman „Heimatmuseum“ (1978) läßt Zygmunt Rogalla, die Hauptfigur, die von ihm nach Schleswig-Holstein geretteten Bestände eines ostpreußischen Museums in Flammen aufgehen, um ihren Mißbrauch durch rechtsradikale Vertriebenenfunktionäre zu verhindern. Diese überzogene Symbolhandlung war eine politisch motivierte Erklärung zu den Ostverträgen, mit der Lenz die schönen und bewegenden Passagen des Buches dementierte. Eine historisch-kritische Zweitlektüre wird die Schönheiten und Stärken seiner Bücher um so mehr bewußt machen.

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