© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Keine Lust auf die Kaderdiktatur
Hongkong: Der Unmut der Studenten kollidiert mit Chinas rigidem Kampf gegen Autonomierechte
Albrecht Rothacher

Es war mehr als ein Wink mit dem Zaunpfahl, als der „stellvertretende Vorsitzende des Landeskomitees der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes und erster Chefadministrator der Sonderverwaltungszone Hongkong“, Tung Chee Hwa, laut Radio China International, an die Demonstranten der „Occupy Central“-Bewegung appellierte, sich „möglichst schnell aus dem Demonstrationsbereich zurückzuziehen“.

Tagelang hielten Zehntausende Studenten und Oberschüler in der Innenstadt Hongkongs die Verwaltungs- und Finanzzentren besetzt. Zuerst wollte Regierungschef Leung Chung-ying (60) die blockierten Straßen mit Tränengas, Pfefferspray und Schlagstöcken räumen lassen. Doch dies ließ die Anzahl der Demonstranten von 13.000 auf 80.000 ansteigen. Nun ging die Taktik der Regierung, die Kampagne mit Drohgebärden ins Leere laufen zu lassen auf. Angesichts des Verkehrschaos verlor der Auftsand die Sympathien der Bevölkerung. Ein Großteil der Protestler zog sich zurück.

Studenten strotzen vor Selbstvertrauen

Doch die Probleme bleiben. Denn den Hongkonger Studenten geht es um freie Wahlen. Im Jahre 2017 soll der Regierungschef nicht mehr von 1.200 handverlesenen Wahlmännern erkoren, sondern von den sieben Millionen Bürgern direkt gewählt werden. Allerdings werden nur solche Kandidaten zur Wahl zugelassen, die Peking genehm sind.

Den studentischen Aktivisten gebricht es nicht an Selbstvertrauen. Vor zwei Jahren organisierte ihre Bewegung der „Scholaren“ eine Demonstration von 180.000 Schülern, Eltern und Lehrern, die es durchsetzte, daß die von Peking angeordneten Lehrplanänderungen, mit denen der Unterricht mit kommunistisch „patriotischer“ Propaganda angereichert werden sollte, wieder zurückgenommen wurden. Gegen das neue Wahlrecht hatten sie im Juni ein inoffizielles Referendum organisiert, an dem 800.000 Bürger teilnahmen. Die Mehrheit lehnte es ab.

Zur allgemeinen Unzufriedenheit trägt in Hongkong bei, daß das Spekulationsgeld der Festlandschinesen in die hiesigen Immobilien wandert. Die Einheimischen können sich die explodierenden Mieten nicht mehr leisten. Luxusboutiquen mit teuren Designerwaren, in die jährlich 50 Millionen Festlandschinesen zum Shoppen kommen, verdrängen die Läden des täglichen Bedarfs. Industriearbeitsplätze wandern vermehrt aufs Festland ab.

Auch die in Hongkong verbleibenden Unternehmen stellen überwiegend die billigeren Festlandschinesen ein. Dazu zeichnen sich die reichen Besucher aus Schanghai, Kanton und Peking meist durch rüde Manieren und arrogantes Auftreten aus. So meinte zum Beispiel auch der Chef des Pekinger Verbindungsbüros Zhang Xiaoming in Hongkong, der Leung sonst die Befehle erteilt, zu Oppositionspolitikern: Peking zeige seine Toleranz in der Tatsache, daß sie überhaupt noch lebendig seien. Ohnehin versucht Peking mehr und mehr, die bei der britischen Rückgabe 1997 für fünfzig Jahre versprochenen Autonomierechte („Ein Land, zwei Systeme“) zurückzuschrauben. Gerade das suchen die Studenten zu verhindern: Sie wollen, daß Hongkong nicht wie China wird, eine korrupte Kaderdiktatur ohne Rechtssicherheit, Religions- und Meinungsfreiheit.

Peking fürchtet Übergreifen der Proteste aufs Festland

Peking schwieg die Proteste lange tot. Selbst ein Kommentar der militanten Global Times, die einen Militäreinsatz der in Hongkong stationierten Volksbefreiungsarmee empfahl, wurde auf Weisung der Propagandaabteilung von der Netzseite genommen. Offensichtlich fürchtete Peking ein Übergreifen der Proteste in seine eigenen Großstädte. Im nahen Macao gingen bereits Hunderte Protestler auf die Straße.

Präsident Xi Jinping sieht sich hier in der Tradition von Deng Xiaoping, der 1989 keinen Moment zögerte die Studenten- und Arbeiterrevolte vom Tiananmenplatz in Blut zu ersticken. Xi würde in China selbst auch kein großes Federlesen machen. Doch fanden die Proteste in Hongkong als internationalem Medien- und Finanzzentrum vor den Augen der Weltöffentlichkeit statt. Da sähe ein Panzereinsatz sehr schlecht aus.

Es gibt in China zudem die Tradition, ein lokales Problem von örtlichen Machthabern, den dazu etwas Spielraum gewährt wird, lösen zu lassen, sofern sie dazu in der Lage sind. Insofern hat Leung noch eine Chance. Am Freitag kam dann die Drohung Pekings auf der Titelseite der People’s Daily: Man werde das von anglo-amerikanischen Agenten angestiftete illegale Treiben einer chaotischen Minderheit nicht mehr hinnehmen. Das war die erste und die letzte Warnung.

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