© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Gabriel und der seidene Faden
Paul Rosen

Wenn in Berlin etwas an die Öffentlichkeit kommen soll, wird das in nichtöffentlichen Sitzungen gesagt. Die Aussichten, daß Medien berichten, liegen bei 100 Prozent. Dieses Spiel beherrschen alle Parteifunktionäre perfekt, auch Sigmar Gabriel zur verdeckten Kritik am Koalitionspartner CDU/CSU.

So hatte der SPD-Chef Anfang September in einer Sitzung der Fraktion über die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gelästert, sie sei eine Inszenierungsministerin. Wenn von der Leyen im Kopierraum des Verteidigungsministeriums stehe, schaue sie in die Ferne und lasse sich fotografieren. „Wenn ich am Kopierer stehe, gucke ich runter auf das, was ich kopiere“, soll Gabriel gesagt haben. Aber im September brach ein Damm. Für SPD-Politiker ist seitdem der Weg frei zur offenen Kritik am Koalitionspartner. So konnte SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel von der Leyen öffentlich auffordern, „weniger Fototermine“ zu machen und sich statt dessen mehr um das Material der Bundeswehr zu kümmern. Zwar ließ die CDU/CSU wiederum wissen, ihrem Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder sei „der Kragen geplatzt“ ob der Angriffe, aber das Klima besserte sich nicht.

Im Gegenteil: Gabriel setzte sich sogar in einer Bundestagsdebatte öffentlich von CDU und CSU ab. Es ging um den Freihandel mit Nordamerika, den die EU mit zwei Abkommen mit Kanada (Ceta) und USA (TTIP) fördern will. Gabriel lehnte den in Ceta und vermutlich auch in TTIP enthaltenen Schutz für ausländische Investoren klipp und klar ab und kündigte Nachverhandlungen an. Die Position ließ er von den SPD-Gremien bestätigen. Damit scheint Gabriel, der spätestens 2017 (wenn es geht, früher) Kanzler mit einer rot-grünen oder rot-rot-grünen Regierung werden will, eine Sollbruchstelle der Regierung markiert zu haben. Mit keinem andere Thema läßt sich so gut Wahlkampf führen wie mit Ceta und TTIP.

Mit TTIP droht angeblich das unkonventionelle Gas-Bohren namens Fracking. Davor haben die Leute Angst, genauso wie vor Chlorhühnchen aus Amerika und vor der Privatisierung der Wasserversorgung, die angeblich auch droht. Mehr noch: Mit TTIP, so sagen Kritiker, falle die Buchpreisbindung, ausländische Konzerne könnten vor internationalen Schiedsgerichten die Bundesrepublik verklagen. Das macht zum Beispiel schon jetzt der schwedische Energiekonzern Vattenfall, der Entschädigung für die Stillegung seiner Atomkraftwerke verlangt. Das ist für das grünbewegte Bürgertum mindestens so schlimm wie der Genmais, den amerikanische Konzerne hier einführen wollen. Und wenn das nicht geht, klagen sie vor Schiedsgerichten. Mit TTIP, so eine von der SPD geschickt verbreitete Propaganda, drohen alle unsere sozialen Standards, unsere Wirtschaft und Kultur in den Fluten des amerikanischen Kapitalismus zu versinken.

Gabriel spielt den guten Ritter gegen den bösen Kapitalismus. Jederzeit könnte er die Fraktion gegen Ceta/TTIP in Stellung bringen und die Koalition damit platzen lassen. Die Regierung von Angela Merkel hängt am seidenen Faden.

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