© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/14 / 03. Oktober 2014

Das Feuer unterm Herd verlischt
Landgasthöfe auf dem absteigenden Ast: Steuern und Abgaben sowie geänderte Freizeitgewohnheiten treiben Wirte in den Ruin
Andreas Harlass

Eichenparkett, mächtiger Tresen, Gebälk – so sehen sie oft noch aus: Deutschlands alte Landgasthöfe. Hier wurden Hochzeiten, Konfirmation oder Schulanfänge gefeiert, bei Leichenschmausen die Toten beschwiegen, Herzen ausgeschüttet und gemeinsam geheilt. Natürlich wurde (und wird, aber eben immer seltener) beim Feuerwehrball gebechert, bis der Arzt kommt.

Eine Ära, die besiegelt zu sein scheint. Ein Beispiel, wie es so viele in Deutschland gibt: Lossen bei Meißen, 82 Einwohner, die Hälfte davon Rentner, idyllisch gelegen in der Hügellandschaft Lommatzscher Pflege, einer Kornkammer Mittelsachsens. In den Nachbardörfern gab es in den vergangenen Jahren elf Gasthöfe. Heute im Umkreis von zehn Kilometern lediglich noch einen. Neben Flimmerkiste und Rechner schaufeln ausgerechnet die Gemeindeverwaltungen den letzten Landgasthöfen ihr Grab. Kaum ein Bürgermeister, der sich nicht den Ruhm ans Revers heften möchte, ein kommunales Vereinsheim, Bürgerhaus oder Haus des Gastes mit Steuermitteln aus dem Boden gestampft zu haben. Natürlich mit subventionierten Bier- und Bratwurstpreisen.

Eßgeschmack ändert sich, Innovationen bleiben aus

Private Wirte müssen in ihre Preiskalkulation dagegen eine ellenlange Latte von Steuern, Gebühren und Abzügen einbeziehen: Schankerlaubnis, Einkommensteuer, Grunderwerbssteuer, Öko-, Getränke- und Sektsteuer, Beiträge an die Berufsgenossenschaft, Familienausgleichskasse, Lebens-, Feuer- und Einbruch-, Rechtsschutz-, Unfall- und Betriebshaftpflichtversicherung sowie exorbitant steigende Kosten für Energie (und das bei oft über drei Meter hohen Räumen), ferner Gas, Wasser, Müllabfuhr, GEZ, Gema, Tanzerlaubnis, Sperrzeitüberschreitung, Straßenreinigung, Miete und so weiter und so fort. Und auf alles noch die gesetzliche Mehrwertsteuer von 19 Prozent. Das alles erst einmal zu erwirtschaften ist eine Heidenarbeit!

Obendrein kommt noch der von der Bundesregierung beschlossene Mindestlohn. Der treibt die Dorfkneiper wie ein Katalysator in den Vorruhestand oder gleich in die Pleite, weil die von der Brauerei vorfinanzierte Einrichtung nicht abgezahlt werden kann. Wer bestellt heute noch eine Bockwurst mit Brötchen für 2,50 Euro (waren mal etwa fünf Mark) oder trinkt ein Bier für 3,70 Euro (7,24 Mark), um dem Wirt die Personal-, Energie- und Steuerkosten zu finanzieren? Gibt’s ja alles im Supermarkt für nicht mal ein Viertel des Geldes. Dazu läuft im Wohnzimmer der „Tatort“ statt der Kellnerin.

Junge Köche zieht es zudem von Schleswig-Holstein nach Hamburg oder Sylt, von Brandenburg nach Berlin oder vom Bayerischen Wald nach München oder Nürnberg. Stadt statt Land. Tapas statt Grützwurst. Ciabatta statt Pellkartoffeln.

In Schleswig-Holstein haben laut dortigem Dehoga (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) in den vergangenen fünf Jahren 15 Prozent der Landgasthöfe aufgegeben: „Früher haben mich viele Leute gefragt, wo sie einen Landgasthof übernehmen können“, sagt Dehoga-Vizepräsident Axel Strehl der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung. „Heute gibt es immer mehr Kollegen, die verzweifelt versuchen, ihr Lokal abzugeben.“ Deutschlandweit mußten in den vergangenen zehn Jahren 12.000 Gasthöfe schließen. Der Dehoga Hessen rechnet damit, daß von den derzeit 1.800 traditionellen Gaststätten zwischen Frankfurt und Kassel in den nächsten Jahren 40 Prozent, also knapp die Hälfte, aufgeben werden müssen.

Schnitzel nach Wiener Art mit Pommes frites oder Schweinshaxe in Soße ertränkt genügen den Leuten oft auch nicht mehr. Viele Wirte schwitzen über Steuererklärungen und telefonieren ausgelasteten Handwerkern hinterher, statt in der Küche innovativ zu sein. Geschweige denn, daß sie mal beim Stammgast am Tisch klönen, einen „Kurzen“ kippen, trösten oder einfach nur zuhören. Vielfach heißt es da einfach: Hier macht der Koch die Büchsen noch selbst auf! Ein Stück deutscher Kultur geht – Wiederkehr ungewiß.

Foto: Beim „Bachjörg“ bechert keiner mehr: Allein im hohen Norden Deutschlands gaben innerhalb von fünf Jahren 15 Prozent der Wirtschaften auf

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