© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/14 / 03. Oktober 2014

In Brüssel mag man ihn nicht
Viktor Orbán als konservativer Revolutionär: Eine polnische Biographie über den ungarischen Ministerpräsidenten
Thomas Kuzias

Das politische Interesse an Osteuropa konzentriert sich gegenwärtig auf die Ukraine. Die Lage Ungarns gerät da leicht aus dem Auge. Viktor Orbán und die von ihm vertretene Form des Konservatismus haben ohnehin in den deutschen und westlichen Medien keine gute Presse. Da trifft es sich gut, daß über den ungarischen Hauptakteur eine Biographie verfügbar ist.

Igor Janke führt seine Leser durch die Stationen des politischen Lebens Orbáns und Ungarns, die betitelt sein könnten mit: der junge antikommunistische Oppositionelle und studentische Aktivist, der sein Land aus der „asiatischen Sackgasse“ herausführen will; die ersten Wahlerfolge des noch liberal-westlich ausgerichteten Fidesz („Bund junger Demokraten“) in den Jahren 1990 und 1994; der erste große Wahlsieg Orbáns; die überraschende Niederlage gegen das Bündnis von Sozialisten und Liberalen 2002; das grandiose Scheitern der Sozialisten in den Jahren 2006/09 unter dem Millionär und kommunistischen Ex-Funktionär Ferenc Gyurcsány, der Ungarn an den Abgrund führte, und der Wiederaufstieg des nunmehr konservativen Viktor Orbán im Jahre 2010, der im April 2014 erneut eine Zweidrittel-mehrheit errang.

Der innerungarische Kulturkampf hält an

Der Autor gibt dem Leser eine kleine Geschichte der postkommunistischen Transformation Ungarns an die Hand. Die Erfolge, Niederlagen und Zukunftschancen Orbáns erklären sich aus ebendiesen besonderen ungarischen Verhältnissen. Bei mitteldeutschen Lesern werden verschüttete Erinnerungen an die Wende von 1989 wach, bitter wird einem bewußt, daß die Transformation der DDR-Verhältnisse nicht auf eigenständige Weise, sondern durch eine paternalistische Anlehnung an den reichen Verwandten jenseits der Elbe zustande kam. Dem westdeutschen Blick eröffnet sich ein weites Feld fremder Erfahrungen und Vorgänge, die zu einer Auseinandersetzung mit der leidvollen Geschichte Ost- und Mitteleuropas hinter dem Eisernen Vorhang anregen.

Hinter Orbáns Forderung, daß es an der Zeit sei, den „europäischen Universalismus zu verwerfen“, wird der konservative Revolutionär sichtbar. Dessen Politik gerät, wie Janke hervorhebt, zwangsläufig mit den „in Europa akzeptierten, ungeschriebenen Gesetzen“ in Konflikt, jedoch ohne die europäischen Verträge zu brechen. Orbáns Regierungsstil kombiniert verschiedene Elemente: Die Freiheit des Individuums steht zur nationalen Gemeinschaft der Bürger in keinem Widerspruch, die Wirtschaftsförderung zielt auf die Mittelschicht, das Krisenmanagement operiert mit Eingriffen in die Prinzipienlehre des globalistischen Liberalismus. Demokratie und Nationalbewußtsein sind keine Widersprüche, die Zukunft Europas liegt in einem Europa der starken Nationen. Da diese Politik dem Volke dient, erhält das Schmähwort „Populismus“ einen helleren Klang.

Eine Besonderheit, die zugleich den Schlüssel zum Verständnis aller Debatten um Ungarn darstellt, ist der von äußerst erbitterten Auseinandersetzungen geprägte Kulturkampf, in dem es um die Deutungshoheit über die nationale Geschichte des 20. Jahrhunderts geht. Unversöhnlich stehen sich zwei Lager gegenüber: ein ländlich, national-konservativ geprägtes Magyarentum und ein urbanes, (links-)liberales Milieu, das stark jüdisch geprägt ist und vor allem in Budapest lebt. Janke weist den Leser in diese Verwicklungen diskret ein. Eine allseitig befriedigende Lösung ist nicht in Sicht, dennoch besteht Hoffnung auf ein Abklingen dieser „Haßkultur“ (György Dalos). Man darf künftig auf eine neue Generation ungarischer, auf Vermittlung ausgerichteter Intellektueller zählen: Anat Kálmán, Attila Pók oder András Schiffer wären hier zu nennen.

Wer sich mit Ungarn beschäftigt, kommt an diesem informativen Buch nicht vorbei. Schon einmal, im Oktober 1956, haben die Ungarn der Welt wagemutig gezeigt, welche Richtung die Entwicklung nehmen wird – dreißig Jahre später gab die Geschichte ihnen recht.

Igor Janke: Viktor Orbán. Ein Stürmer in der Politik. Schenk Verlag, Passau 2014, gebunden, 343 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro

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