© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/14 / 03. Oktober 2014

Prosperierende Geschäfte
Internationale Organisation für Migration (IOM): Tausendsassa im Migrationsmanagement
Mario Jacob

Nach dem Untergang von zwei Booten, vollbesetzt mit illegalen Migranten vor Libyens Küste, zeigte sich EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström entsetzt. Die Vorfälle hätten sie „schockiert“, erklärte die Schwedin. Zugleich forderte sie ein härteres Vorgehen gegen die „grausame“ Arbeit der Schmugglerbanden und appellierte an die EU-Staaten, mehr legale Einwanderung nach Europa zu ermöglichen. In diesem Kontext lobte die Kommissarin vor allem die Arbeit der Internationalen Organisation für Migration (IOM), die sich für die Aufklärung des Vorfalls einsetzt.

IOM? Die im Jahr 1951 in der Schweiz gegründete Organisation hat sich gerade in den vergangenen Jahren zum führenden Unternehmen im sogenannten „Migrationsmanagement“ entwickelt.

156 Staaten sind Mitglied und zahlen jährlich ihre „Mitgliedsbeiträge“ – darunter Deutschland mit 2,8 Millionen Euro im Jahr 2014. Die IOM besitzt weltweit über 100 Niederlassungen und betreibt mehrere regionale Koordinationszentren. Mit einem Budget von 1,7 Milliarden US-Dollar (2013) beschäftigt sie 8.400 Mitarbeiter. Diese besitzen juristische Vollmachten und genießen Immunität.

Nicht immer kommen die IOM-Projekte gut an

Neben den Mitgliedsbeiträgen finanziert sich die intergouvernementale Organisation mit Sitz in Genf durch Aufragsvergabe von Staaten und Organisationen wie der EU. Genauer gesagt: Diese betrauen die IOM mit Aufgaben der Flüchtlingsbetreuung vor Ort, der Steuerung und Kontrolle der Migration, mit Integrations-, Weiterwanderungs- und Rückkehrprogrammen.

Das Onlinemagazin Telepolis schilderte in diesem Kontext einen typischen Geschäftsvorgang: Demnach schlossen Athen und die IOM im Juli 2012 einen Vertrag, dem zufolge 7.000 Migranten zur „freiwilligen Ausreise“ überredet werden sollen. Die Kosten für die Aktion so Telepolis: „9,6 Millionen Euro – bereitgestellt aus dem EU-Rückkehrfonds. Ein Viertel der Gesamtkosten trägt die griechische Regierung.“

Deutschland ist seit 1954 Mitglied der IOM und damit eines der ältesten Mitgliedsländer. Die Vertretung der IOM Deutschland befindet sich in Berlin. Des weiteren verfügt die Organisation über eine Zweigstelle in Nürnberg sowie eine Repräsentanz am Flughafen Frankfurt am Main.

Die IOM kooperiert hierbei eng mit der Bundesregierung. Schwerpunkte bilden insbesondere die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration, die Hilfe bei Aus- und Weiterwanderung und die Bekämpfung des Menschenhandels sowie die Integration von Migranten.

Geht es nach Bundesinnenminister Thomas de Maizière funktioniert sowohl der Spagat der IOM zwischen den verschiedenen Politikfeldern als auch die „gute“ Kooperation. Vor allem beim „Resettlement und der Aufnahme syrischer Flüchtlinge“ bescheinigte de Maizière der IOM „gute Arbeit“. „Resettlement“ steht laut Definition des Innenministeriums für die „Neuansiedlung von Flüchtlingen in einem anderen als dem Erstaufnahmestaat.“

Schwerpunkte bilden hier die von der Bundesregierung finanzierten Programme REAG (Reintegration and Emigration Programme for Asylum-Seekers in Germany) und GARP (Government Assisted Repatriation Programme) zur freiwilligen Rückkehr asylsuchender, geduldeter und anerkannter Flüchtlinge.

Beide Programme werden im Rahmen von Partnerschaftsabkommen mit Kommunalbehörden oder Wohlfahrtsverbänden implementiert. Mittels finanzieller Anreize sollen danach Migranten zur Weiterreise oder Rückkehr bewegt werden. So werden die Beförderungskosten für Flug, Bahn oder Bus (pro Pkw sind es 250 Euro) und Reisebeihilfen (200 Euro für Erwachsene und 100 Euro für Kinder unter 12 Jahren) gezahlt. Daneben werden auch Starthilfen für Personen aus bestimmten Ländern gewährt – diese bewegen sich zur Zeit zwischen 300 Euro und 750 Euro. Im Jahr 2012 organisierte die IOM die Rück- oder Weiterreise von 7.546 Personen in ihre Heimatländer oder in andere Länder. Laut Angaben des Bundesinnenministeriums durchliefen bis dato über 550.000 Personen dieses Programm.

Neben REAG/GARP ist IOM auch beim deutschen Resettlement-Programm von der IOM federführend. Explizit werden hier seit 2012 jährlich 300 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge, die sich in Erstaufnahmestaaten aufhalten und dort weder eine positive Zukunftsperspektive noch eine Rückkehrperspektive haben, dauerhaft in Deutschland aufgenommen. Parallel dazu betreut IOM zwei humanitäre Aufnahmeprogramme für 20.000 besonders schutzbedürftige syrische Flüchtlinge. Laut Bundeshaushalt 2014 schlagen die Bereiche „Resettlement und Leistungen im Rahmen der humanitären Aufnahme“ mit neun Millionen Euro, der „Zuschuß für Programme zur Förderung der freiwilligen Ausreise“ mit 2,14 Millionen Euro zu Buche

IOM Deutschland ist zudem Teil des Anfang 2014 ins Leben gerufenen und von der EU geförderten Projekts „Head Start“. Das länderübergreifende Projekt, an dem auch Belgien, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, die Slowakei, Tschechien und Ungarn teilnehmen, dient dazu, potentielle Migranten bereits in ihren Heimatländern „vorzuintegrieren“. Noch vor ihrer Abreise sollen diese über Einwanderungsregelungen sowie über ihre Rechte und Pflichten in den „Zielländern“ informiert werden. Laut IOM gehe es darum, zu verhindern, daß die Auswanderer Opfer von Ausbeutung werden. Zudem soll das Projekt helfen, die im Zielland „neu gewonnenen Fähigkeiten nach Rückkehr“ in die Heimat besser einsetzen zu können.

Neuerdings hat die IOM auch das Management von Anwerbungsprogrammen für in Europa begehrte Arbeitskräfte übernommen und ist beispielsweise in das Greencard-Projekt sowie ähnliche Programme in Finnland, Italien und Spanien eingebunden. Zudem führt sie ein Gesundheits-Screening für Wanderungswillige durch. Auch war die Organisation bei der Einsetzung der zivilen Verwaltung im Kosovo, der Entwaffnung von Unita-Rebellen in Angola sowie bei der Durchführung der Entschädigungsprogramme für nicht-jüdische Opfer der NS-Zwangsarbeiterpolitik aktiv.

Während die Arbeit der IOM in Deutschland kaum der Kritik unterliegt kommen aus dem Ausland immer wieder kritische Stimmen. So bezeichnete der Roma National Congress in Hamburg die IOM als einen „Feind des Volkes der Roma“. Tony Bunyan, leitender Direktor der britischen Bürgerrechtsbewegung Statewatch, hält sie für eine „sehr gefährliche Organisation“. Die BBC-Journalistinnen Sarah MacDonald und Kate Durham halten die IOM gar für eine „bösartige Organisation“, während der britische Flüchtlingsrat die IOM für ihre Rolle bei der Rückführung von afghanischen Flüchtlingen kritisierte.

In Quito in Ecuador demonstrierten Angehörige von in Spanien arbeitenden Erntehelfern gegen ein von der IOM eingefädeltes Migrations- und Rückführungsabkommen. Auch Mitarbeiterinnen von Migrantinnen- und Prostituierteninitiativen äußern zunehmend Unmut über die Art und die Inhalte, mit der die IOM sich des Problems annimmt.

Zu starker Kritik hat die Arbeitsweise der IOM auf dem pazifischen Inselstaat Nauru geführt. Um die Zuwanderung von Flüchtlingen vor allem aus Afghanistan, dem Iran und dem Irak abzuwehren, führte die australische Regierung die sogenannte „pazifische Lösung“ ein. Flüchtlinge und „Boat people“ werden vor den Küsten des Landes abgefangen und nicht selten unter Anwendung von Gewalt auf die Pazifikinsel und eigenständige Republik Nauru gebracht. Dort hat die IOM zwei Lager für mehr als 1.000 Menschen eingerichtet. Unter den Augen des IOM-Personals wurden im Jahre 2001 die Flüchtlinge von dem norwegischen Frachtschiff Tampa teilweise unter Gewaltanwendung in die Lager gedrängt. Auch danach kam es wiederholt zu Zwischenfällen. Nach der Schließung im Jahre 2008 erfolgte 2013 die Wiedereröffnung des Lagers. Die Insel hat eine Einreisesperre für Journalisten und Rechtsanwälte sowie für Amnesty International erlassen. Unter gleißender Sonne und auf einer durch den Phosphatabbau ökologisch verwüsteten und vergifteten Insel sind die Flüchtlinge auf unbestimmte Zeit eingesperrt, sie dürfen die Lager nicht verlassen.

Ein weiteres Lager betreibt die IOM auf der Militärbasis der Insel Manus/Papua-Neuguinea. In der Ukraine war die IOM ebenfalls an der Einrichtung zweier Flüchtlingslager beteiligt. Um die Verhältnisse in Westafrika – die IOM spricht von „freien Fluten“ – in den Griff zu bekommen, hat die Organisation den dortigen Regierungen Staatsangehörigkeits- und Ausländergesetze, die Einführung von Personalausweisen sowie Grenzkontrollen zur Regulierung der Wanderungsbewegungen vorgeschlagen.

Um im harten Geschäft des Migrationsmanagements jedoch nicht allzusehr im schlechten Licht zu stehen, präsentierte die IOM Ende September eine weltweite Kampagne mit dem Titel „Es ist erstaunlich, was Migranten bringen“. „Leider“, so die stellvertetende IOM-Generaldirektorin Laura Thompson, sei die Darstellung von Migranten in der breiten Öffentlichkeit „zumeist negativ“. Sie basiere auf „uninformierten Annahmen und Stereotypen“. Mit der Kampagne wolle die IOM nun mit Zahlen und Fakten gegen „verbreitete Irrtümer, Mythen und negative Vorstellungen“ ankämpfen.

 

Internationale Organisation für Migration

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit Sitz in Genf wurde 1951 im Zeichen des Kalten Krieges von den westlichen Alliierten als intergouvernementale Organisation gegründet. Anfänglich war sie als Gegenorganisation zum UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR konzipiert und sollte die – zunächst überwiegend europäische – Nachkriegsmigration nach ökonomischen und politischen Gesichtspunkten gestalten. Mittlerweile arbeitet sie im „Migrationsmanagement“ eng mit dem UNHCR zusammen. Die Geschäfte florieren. Das Budget der IOM stieg in den vergangenen Jahren. Laut IOM sind die Mitarbeiter verpflichtet, sich für eine „humane und geordnetete Migration“ einzusetzen. Den Posten des IOM-Generaldirektors hat der pensionierte US-Diplomat William Lacy Swing inne. Seine Stellvertreterin ist Laura Thompson aus Costa Rica.

www.iom.int

Fotos: Per IOM-Schiff verlassen afrikanische Migranten und Gastarbeiter das umkämpfte Misrata (Libyen, 2011): Nahziel Bengasi und dann?; Kristalina Georgiewa, EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, begrüßt IOM-Chef William L. Swing auf Haiti: Weltweit im Einsatz und stets dem „Grundsatz verpflichtet, sich für eine humane und geordnete Migration einzusetzen“

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