© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/14 / 03. Oktober 2014

Unterwegs nach ganz links
Sachsen: Die Entscheidung von Bündnis 90/Die Grünen gegen eine Koalition mit der CDU symbolisiert den Abschied der Partei von der Bürgerrechtstration
Paul Leonhard

Es wird in Sachsen kein schwarzgrünes Experiment geben. CDU-Landeschef und Ministerpräsident Stanislaw Tillich dürfte hörbar aufgeatmet haben, daß diese Option ohne sein Zutun vom Tisch ist. Die Bündnisgrünen, in ihrem eigenen Verständnis die „einzige politische Kraft, die Ökologie, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung zusammendenkt“, wollen nicht mitgestalten. Die „inhaltlichen Differenzen in den für uns zentralen Punkten sind insgesamt zu groß“, faßte Landeschef Volkmar Zschocke das Ergebnis der Gespräche mit der CDU zusammen. Zwar habe man in den Sondierungen „viele Gemeinsamkeiten und für beide Seiten akzeptable Kompromisse finden können“, diese hätten aber „keine ausreichend tragfähige Basis für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen“ ergeben. Zschocke verwies insbesondere auf die Braunkohle- sowie die Bildungspolitik.

Freiwillig in die Opposition

Daß diese Gründe vorgeschoben sind, zeigt ein Blick auf die Internetseite des Landesverbandes. Dort wird noch versprochen, die Erfahrungen aus der rot-grünen Koalition im Bund und das gewonnene „Wissen und Können jetzt für Sachsen nutzbar“ zu machen. Daß das im konservativen Sachsen nur mit der CDU möglich sein kann, mußte auch den Wählern klar sein. Daß jetzt freiwillig die Ohnmacht der Opposition gewählt wird, hängt mit einem gravierenden Linksruck an der Parteispitze zusammen, die die Partei zwischen Linkssozialisten und Sozialdemokraten positionieren will und sich damit von den bürgerlichen und bürgerbewegten Idealen der Gründungsjahre endgültig entfernt.

Das war nicht immer so. Als die Partei im September vor 23 Jahren in Zwickau gegründet wurde, war sie ein Zusammenschluß aus Demokratie Jetzt, Neuem Forum, Unabhängigem Frauenverband und Grünen. Antje Hermenau, damals noch Rush, war die Fraktionsvorsitzende, und die Kontakte zu den alleinregierenden Christdemokraten waren eng. Der damalige Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) schätzte die Bürgerrechtler in der Oppositionspartei und genoß als Intellektueller deren Zwischenfragen in den Debatten geradezu. Da die CDU nicht damit rechnete, bei den Landtagswahlen 1994 erneut die absolute Mehrheit zu gewinnen, sollten die Bündnisgrünen Juniorpartner werden. Offen wurde bereits über Ministerposten verhandelt.

Die Wahlen waren dann aber ein Paukenschlag für beide Parteien. Die CDU erhielt so viele Stimmen, daß sie noch einmal allein regieren konnte, die Bündnisgrünen so wenige, daß sie den Einzug ins Parlament verpaßten. Die Betroffenheit war groß. Es waren die bürgerlichen Kräfte um Antje Hermenau, die 2004 die Partei zurück in den Landtag führten. Allerdings begannen sich die Kräfte zu verschieben, weg von den Idealen des Bündnisses 90 und hin zu denen der Grünen. Die Bürgerrechtler wurden zunehmend von redegewandten, aus Westdeutschland stammenden Träumern verdrängt. Das wurde jetzt auf dem Leipziger Parteitag deutlich, wo auf Wunsch von Landes-chef Zschocke mit großer Mehrheit Koalitionsverhandlungen mit der CDU abgelehnt wurden und es damit Sachsen-Premier Tillich leichtgemacht wird, seinen politischen Kurs mit der SPD als Juniorpartner fortzusetzen.

Die Parteitagsentscheidung war in dieser Deutlichkeit nicht unbedingt vorhersehbar gewesen. Zu den letzten, die in Sachsen grüne Politik sichtbar machten wollten und deswegen unbeirrt für eine schwarz-grüne Option geworben hatten, gehörte Hermenau. Daß die Bündnisgrünen, Landesvorsitzende Claudia Maicher spricht nur noch von den „Grünen“, überhaupt mit knappen 5,7 Prozent in den Landtag einziehen konnten, ist ihrer Führung zu verdanken. Hermenau sei „nie in der grünen Nische geblieben und hat unsere Partei mit neuen Milieus verbunden“.

Hermenau gibt entnervt Mandat zurück

Diese Einschätzung der beiden Landesvorsitzenden Maicher und Zschocke wäre vor Leipzig noch als Lob gewertet worden, klingt nun aber doppeldeutig. Denn sie wurde formuliert, nachdem „das Gesicht der sächsischen Grünen“ (Maicher/Zschocke) entnervt ihr Landtagsmandat zurückgegeben hat. Den Linksruck ihrer Partei kommentierte die 50 Jahre alte Hermenau mit den Worten: „Ich will mich nicht beschweren, ich will das nicht behindern. Lebt wohl!“ Gleichzeitig schloß die erfahrene Politikerin einen Wechsel zur CDU aus, wie ihn einst in Thüringen die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld vollzog.

Auch in Erfurt bleiben die Grünen auf Distanz zur CDU. Sich an einer möglichen Koalition aus CDU und SPD zu beteiligen, werde zur Zeit nicht verhandelt, sagte Spitzenkandidatin Anja Siegesmund. Andererseits ist die bisherige Vorsitzende der bündnisgrünen Fraktion im Erfurter Landtag vorsichtig: Man wolle den Parteigremien die Möglichkeit lassen, regieren zu können, „wenn alles ganz anders kommt“.

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