© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/14 / 03. Oktober 2014

Votum des Ethikrates zum Inzestverbot
Am Tabu gerührt
Gerhard Vierfuß

Der Deutsche Ethikrat hat sich dafür ausgesprochen, einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen erwachsenen Geschwistern sowie zwischen Geschwistern, die nicht in einer gemeinsamen Herkunftsfamilie leben, zu legalisieren. Damit hat er an ein Tabu gerührt. Doch es wäre falsch, einem instinktiven Impuls folgend die Empfehlung kurzerhand zurückzuweisen oder einfach zu ignorieren. Das Strafrecht als schärfstes Schwert des Staates bedarf zu seiner Rechtfertigung in jedem Fall der rationalen Begründung. Eine Norm, die lediglich dem Schutz eines als irrational empfundenen Tabus gilt, wird sich auf Dauer nicht halten lassen.

Der Ethikrat hat eine bedenkenswerte Argumentation vorgelegt, die das Inzestverbot für Geschwister auf einen Kernbereich eingrenzt, aber durch eine rationale Begründung zugleich stärkt. Allerdings geht er mit der Empfehlung einer grundsätzlichen Straflosigkeit erwachsener Geschwister zu weit, wie das Minderheitsvotum zeigt: Auch in dieser Konstellation kann der Schutz der Familie oder des schwächeren Partners die Strafbarkeit erfordern.

Beide Voten machen deutlich: Die Problematik der Paare, die zu spät von ihrer Geschwisterschaft erfahren, wird – auch infolge anonymer Samenspenden – zunehmen und verlangt nach Berücksichtigung.

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