© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Früher aus Not, heute aus Lust
Deutscher Kaffee vom Eichbaum: Die Lorke unserer Großeltern ist unter Naturliebhabern, Soldaten und Lebensreformern ein Geheimtip
Bernd Rademacher

Autsch, schon wieder eine! Wer dieser Tage durch den Wald streift, wird von den Eichen infam mit Geschossen beworfen. Doch während sich Spaziergänger nach blanken Kastanien bücken, bleiben die Eicheln liegen. Kein Mensch käme auf die Idee, Eicheln als Lebensmittel zu betrachten. In Internetforen stellen viele Nutzer sogar die Frage, ob Eicheln giftig sind.

Für die Nachkriegsgeneration waren Eicheln dagegen der Grundstoff für Kaffee-Ersatz. Mangels echter Kaffeebohnen wurden neben der Alternative „Muckefuck“ (Getreidekaffee mit Zichorie versetzt) auch Eicheln gesammelt, geröstet und das Pulver zu „Kaffee“ aufgegossen – bis das Wirtschaftswunder endlich wieder „echten Bohnenkaffee“ sprudeln ließ. Als „Krönung der schönsten Stunden“, die man wieder genießen konnte, nach dem „Schauer aller Jahre“ (Ingeborg Bachmann).

Ein Wurm kriecht hervor – das fängt ja gut an!

Im Zuge von Reform- und Öko-Trend erlebt der Eichel-Ersatzkaffee eine Rückkehr als Retro-Kult. Bundeswehrsoldaten kennen ihn von Manövern im Wald, Outdoor-Netzseiten empfehlen ihn. Wie schmeckt das Zeug, das unsere Großeltern als Surrogat verfluchten und heute als vollwertiges Bio-Getränk wiederentdeckt wird? Das Internet ist voll mit Rezept-Tips. Wir wagen den Selbstversuch, der, wie sich zeigt, ganz schön „zeitintensiv“ ist:

Als erstes werden die gesammelten Eicheln von der Schale befreit. Das fängt ja gut an! Schon aus der ersten Eichel krümmt sich mir ein Wurm entgegen, verärgert darüber, daß ich ihm Fressen und Behausung nehme.

Die geschälten Eicheln übergieße ich mehrfach mit heißem Wasser, um die Gerbstoffe auszuwaschen. Nach vier bis fünf Bädern bleibt das Wasser einigermaßen klar. Das Überbrühen hat zudem den Vorteil, daß sich die dunkle Haut zwischen Frucht und Schale jetzt einfacher abziehen läßt. Mit dem großen Küchenmesser hacke ich die Eicheln fein, etwa so wie Knoblauch; ruhig noch feiner, versichern die „Experten“ aus den Videoanleitungen auf Youtube. Dann kommen die Krümel ohne Fett in die Pfanne. Bei mäßiger Hitze bekommen die Eicheln unter ständigem Rühren, Wenden und Schwenken ein appetitliches Röstaroma.

Eigentlich könnte ich die goldbraune Masse jetzt schon aufbrühen, aber mich haben Ehrgeiz und Experimentierlust gepackt. In Omas Oldschool-Kaffeemühle (vom Flohmarkt) mahle ich die krokant­artigen Stückchen mit der Hand zu feinem Mehl. Da mir das Pulver aber noch relativ feucht vorkommt, entschließe ich mich zu einem zweiten Röstvorgang und gebe das Pulver nochmals in die Pfanne. Der Duft verrät mir, daß die Entscheidung gut war.

Assoziationen von Karamel und Sonntagsbratenaroma

Und jetzt kommt der Praxistest: Was kann mein Eichelkaffee? Zunächst überrascht er mich, denn ich hatte mir die Farbe viel dunkler vorgestellt. Das Ergebnis ist ein helles Toffee-Braun. Die Nase identifiziert ein würziges Karamel-Aroma und eine nicht näher zu bezeichnende Assoziation von Sonntagsbratensoße. Interessant.

Der Geschmack hält, was der Duft verspricht. Ein Löffelchen Zucker verfeinert das Erlebnis. Noch besser eine Prise Zimt. Mit Kaffee hat das Ganze allerdings nicht mal entfernt zu tun, darum darf man es nicht an „Jacobs Krönung“ messen. Man muß den Geschmack als eigenständigen Eindruck bewerten. Mühe und Prozedere haben sich gelohnt!

Übrigens soll Eichelkaffee ziemlich gesund sein und den Blutzucker senken. Wer weiß. Ein Rätsel jedoch habe ich bei meinen Experimenten gelöst und die Frage vieler Internetforisten geklärt, ob Kaffee aus den Eicheln deutscher Traubeneichen anders schmeckt als der amerikanischer Roteichen, die neuerdings bei uns Verbreitung finden. Auflösung: Beide schmecken identisch.

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