© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Schlickkrebse in Deutschlands Tor zur Welt
Ökologisch und ökonomisch gut begründet: Naturschützer klagen gegen Elbvertiefung
Dieter Menke

Seit wenigen Wochen ist beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eine Klage von Umweltverbänden gegen die Vertiefung der Unterelbe zwischen Cuxhaven und Hamburg anhängig. WWF, Nabu und BUND würden dabei mit „gemischten Gefühlen“ in den Ring steigen, wie der Wissenschaftsjournalist Peter Laufmann die Stimmung auf Klägerseite beschreibt (Natur, 8/2014). Mulmig dürfte es den Umweltschützern sein wegen des einschüchternden Gewichts politischer und wirtschaftlicher Interessen: Nicht weniger als 600 Millionen Euro will der Hamburger Senat investieren, um den Hafen zukunftsfähig zu machen und 155.000 Arbeitsplätze zu erhalten, was ohne Elbvertiefung angeblich nicht zu erreichen ist.

Schlimme Erfahrungen beim Ausbau der Ems

Ob der Schutz außergewöhnlicher Lebensräume an Unterelbe und Elbmündung schwerer wiegt als ökonomische Erwägungen, ist tatsächlich zweifelhaft. Denn der WWF und seine Mitstreiter können lediglich ins Feld führen, daß in diesem Bereich der Elbe, wie an Weser und Ems, öffentlich wenig beachtete naturkundliche Raritäten wie Tide-Auwald und Süßwasserwatt mit dem Gewässerausbau verschwänden. Mit ihnen Schlickkrebse, Watvögel und Schierlingswasserfenchel in dieser von Süß- und Salzwasser geprägten Brackwasserregion. Unter dem Strich scheint damit nur eine überschaubare Zahl von Kleinsttier- und Pflanzenarten geopfert werden zu müssen, um Deutschlands „Tor zur Welt“ offenzuhalten.

Erfahrungen beim Ausbau der Ems zugunsten der Meyer-Werft in Papenburg zeigen jedoch, daß das Ökosystem Fluß durch brachiale Vertiefungen wesentlich härter getroffen wird und mehr auf dem Spiel steht als einige Schlickkrebse. An der Ems habe, nach Ansicht von Umweltschützern, der Ausbau den Flußquerschnitt und folglich das Gleichgewicht aus Abtrag und Einbringung von Sedimenten dauerhaft verändert. Immer mehr Schlick gerate dadurch in die Ems, deren inzwischen acht Meter tiefes Bett sich mit einer bis zu sechs Meter dicken Schlammschicht fülle, die vor sich hin faule, Sauerstoff verbrauche und zur Todeszone verkäme. Von der Einhaltung der EU-Wasserrichtlinie, die Deutschland gebietet, bis 2015 alle seine Flüsse in einen „guten ökologischen Zustand“ zu bringen, sei an der Ems keine Rede mehr.

Um ein ähnliches Umweltdesaster an der Elbe zu verhindern, verlassen sich Naturschützer nicht ausschließlich auf ökologische Argumente oder die EU-Gesetzgebung. Eine zusätzliche Trumpfkarte für das Leipziger Verfahren spielt ihnen die ökonomisch widersinnig anmutende Hamburger Hafenpolitik in die Hand. Denn 2000 hatten sich die Hanseaten mit Niedersachsen und Bremen geeinigt, den mit 1,2 Milliarden Steuergeldern ausgebauten, 18 Meter Tiefgang bietenden „Jade-Weser-Port“ in Wilhelmshaven gemeinsam zu nutzen und damit der Konkurrenz Rotterdams vor allem im prosperierenden Ostasiengeschäft zu trotzen. Aber Hamburg kündigte 2002 die Kooperation, verfolgte wieder eigene Pläne und trug dazu bei, daß der Jade-Weser-Port heute auf dem Weg zur Investitionsruine sei. Würde man hingegen die Wilhelmshavener Kapazitäten endlich nutzen, könnte man in Bremen und Hamburg auf den „kostenintensiven und zerstörerischen Ausbau“ der Flüsse verzichten, ohne Arbeitsplätze zu gefährden.

Foto: Teichbinsenröhricht in naturnaher Uferzone an der Tideelbe: Empfindliches Gleichgewicht

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