© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Weder rechts noch links, sondern faschistoid
In Frankreich erzürnt ein Werk des Politologen Zeev Sternhell über den „Faschismus à la française“ die politische Linke
Karlheinz Weissmann

Schon seit dem Mai dieses Jahres schwelt in Frankreich eine Auseinandersetzung, die vielleicht kein weiterer „Historikerstreit“ (Jürg Altwegg) ist, aber doch ein bezeichnendes Licht auf die intellektuelle Lage unseres Nachbarlandes wirft. Ausgelöst hat die Kontroverse das Erscheinen eines neuen Buches von Zeev Sternhell, Emeritus der Jerusalemer Universität für Politische Wissenschaften. Genauer müßte man sagen: eines Buches von Sternhell und Nicolas Weill, denn es handelt sich um einen jener in Frankreich beliebten Interviewbände, in denen ein mehr oder weniger Prominenter Gelegenheit erhält, ausführlich Stellung zu nehmen, in diesem Fall zur eigenen Biographie.

Was Sternhell hier ausführt, war bisher nur in Ansätzen bekannt, so die genauen Umstände seiner Kindheit in Polen – er wurde dort 1935 als Sohn einer jüdischen Familie geboren –, des tragischen Schicksals seiner Angehörigen unter der deutschen Besatzung, der abenteuerlichen Flucht nach Frankreich und des jugendlichen Entschlusses, mit sechzehn Jahren nach Israel auszuwandern.

Frankreich nicht als Hort der Ideen von 1789 definiert

Interessant sind auch Sternhells Bemerkungen zur geistigen Lage Frankreichs, in das er Anfang der sechziger Jahre zurückkehrte und dessen tonangebende Kreise von einer ganz bemerkenswerten geistigen Borniertheit bestimmt wurden. Aber zum Kern der Sache, das heißt zum Auslöser des aktuellen Konflikts, kommt man doch erst da, wo es um seinen eigenen Werdegang – geprägt durch den großen jüdischen Historiker Jacob Talmon – und darum geht, sich dem Faschismus à la française zuzuwenden.

Was damit gemeint ist, hat Sternhell schon in seiner Dissertation über den Schriftsteller Maurice Barrès deutlich gemacht, den er von seinem Sockel als maßgeblicher Stilist stürzte und in seinen konkreten politischen Kontext als radikaler Antisemit und National-Sozialist einordnete. Erregte dieses Vorgehen den Unmut konservativer Kreise, zog sich Sternhell den Zorn eines großen Teils seiner eigenen „Denkfamilie“ – der Linken – zu, als er in einem zweiten Buch unter dem Titel Ni droite, ni gauche – „Weder rechts noch links“ daran ging, die verwickelte Geschichte der faschistischen oder „faschisierenden“ Intelligenz Frankreichs zwischen dem Anfang und der Mitte des 20. Jahrhunderts zu analysieren. Denn dabei stellte sich heraus, daß die nicht nur erheblichen Zuzug aus den Reihen von Sozialisten und Kommunisten erhalten hatte – was im Grunde längst bekannt war –, sondern auch mit einer Reihe von weltanschaulichen Revisionen dem vorgearbeitet hatte, was Sternhell unumwunden als „faschistische Ideologie“ bezeichnete: ein Amalgam aus Dekadenzfurcht, Vitalismus, Aktivismus, antibürgerlichem Affekt, Revolutionsbereitschaft und Modernität, dessen Anziehungskraft auf alle diejenigen wirkte, die schon vor dem Ersten Weltkrieg und dann in der krisenhaften Zwischenkriegszeit nicht mehr „links“ oder „rechts“ im traditionellen Sinn sein wollten, aber eben auch nicht bereit waren, den bolschewistischen Weg zu gehen oder sich der Massendemokratie anzupassen.

Diese Argumentation, die Sternhell in einigen späteren Büchern noch vertieft hat, wirkte auf die Progressiven deshalb so verstörend, weil das eigene Land eben nicht mehr als Hort der „Ideen von 1789“ – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – erschien, sondern als Laboratorium, in dem die „Ideen von 1922“ oder sogar die „Ideen von 1933“ entstanden waren. Zu denen, die Sternhells Behauptung, der Faschismus sei eine „französische Ideologie“ (Bernard-Henri Lévy), widersprachen, gehörte damals schon Michel Winock, ein ehemaliger Weggefährte Sternhells, der dessen Positionen aber nur solange geteilt hatte, als sich daraus eine gemeinsame Frontstellung gegen Kapitalismus und bourgeoise Gesellschaftsordnung ergab, der sich aber in dem Augenblick korrigierte, als deutlich wurde, daß hier jemand das eigene Lager in Mithaftung nahm. Winock gehört auch jetzt zu den schärfsten Kritikern und hat sich massiv gegen die Wiederholung der Positionen Sternhells in dem neu erschienenen Buch gewandt.

Faschismus als Vollender der Gegenaufklärung gedeutet

Man kann die Heftigkeit des Zusammenstoßes im Grunde nur mit der Tiefe alter Verletzungen erklären. Denn in der Sache hätten sich beide Seiten längst versöhnen können. Diese auf den ersten Blick etwas irritierende Feststellung wird verständlich, sobald man die letzten Arbeiten Sternhells in Augenschein nimmt. In ihnen hat er versucht, seine früheren in einen größeren historischen Kontext einzuordnen, indem er den Faschismus als Fortsetzer und Vollender der „Gegenaufklärung“ deutet.

Auf diese Argumentation kommt er auch in „Histoire et Lumières“ zurück und nimmt damit seiner früheren These vom revolutionären Charakter des Faschismus viel von ihrer Überzeugungskraft, da er jetzt nur als eine Art Wurmfortsatz der Reaktion des 18. und 19. Jahrhunderts erscheint. Bedauerlicherweise setzt sein Gesprächspartner an dieser Stelle nicht nach und läßt Sternhell zum Schluß auch das Bekenntnis zum „humanistischen Marxismus“ durchgehen, als der großen Alternative zur „ewigen Wiederkehr“ der Reaktion in Gestalt des wahren Fortschritts und Lösung aller entscheidenden Menschheitsprobleme, – unter Einschluß des Nahostkonflikts.

Zeev Sternhell: Histoire et Lumières. Changer le monde par la raison. Entretien avec Nicolas Weill. Albin Michel, Paris 2014, broschiert, 367 Seiten, 24 Euro

Foto: Pariser Börse während des Pfundsturzes 1931: Amalgam aus Dekadenzfurcht und Revolutionsbereitschaft

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