© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Schicksalsgemeinschaft der Überlebenden
Phoenix in der Unterwelt: Christian Petzolds neuer Kinofilm spielt unmittelbar nach Kriegsende
Sebastian Hennig

Seine ersten drei Kinofilme hat Christian Petzold zu einer Gespenster-Trilogie zusammengefaßt. Yella“ (2007) spielte in jenem kolonisierten wilden Osten, in den sich die ehemals prosperierende Mitte Deutschlands durch Krieg und Kalten Krieg verwandelt hatte. Diese Temperatur durchzog auch den letzten Film „Barbara“ (2012, JF 11/12). Der weibliche Freiheitsdrang wurde von den wechselseitigen Zumutungen innerhalb der politischen Konfrontation gehemmt. Das Gespensterhafte des Lebens hat sich in Petzolds Filmen immer weiter aus den Figuren auf ihre Umwelt verschoben. Darin wird es nun nach und nach zu einem wohltuenden Geisterwesen, während zugleich die Menschen an Format gewinnen.

Wie schon im Vorgängerfilm ist auch in „Phoenix“ die Trostlosigkeit von Schönheit durchzogen, ohne makaber zu werden. Regisseur Petzold hat sich die Frage gestellt: „Kann man das Jahr 1945 auch erzählen wie in einem Melodram von Douglas Sirk?” Abermals spielen Nina Hoss als Nelly und Ronald Zehrfeld als Johnny ein Paar, dessen Wege fernbestimmt vorgezeichnet wurden. Die Handlung ereignet sich unmittelbar nach Kriegsende. Die zerquälten Insassen der befreiten Lager und die Ausgebombten der verheerten Städte vermengen sich zur undurchsichtigen Schicksalsgemeinschaft der Überlebenden.

Um die elementaren Verstörungen zwischen Frau und Mann zum Ausdruck zu bringen, siedelt Christian Petzold seine Filmhandlungen bevorzugt in den Bruchzonen geschichtlicher Ereignisse an. Er verfährt anders als jene dokumentarischen Geschichtsdramen des Fernsehens, in denen die Geschichte exemplarisch am Einzelschicksal, respektive Doppelschicksal, erfahrbar gemacht werden soll. Bei ihm steht der Mensch im Mittelpunkt. Das historische Ereignis ist nichts weiter als die Klammer, die das persönliche Geschick der Protagonisten in einen größeren Zusammenhang einbindet.

So wirken dann die Personen eindringlich gegenwärtig. Es sind keine durch ein Milieu geprägten sozialen Gespenster. Statt eine Filmlupe auf eine besondere menschliche Staffage im allgemeinen Historiengemälde zu richten, läßt der Regisseur seine Figuren wie Lampen das Geschichtliche von sich ausgehend abstrahlen. Vom individuellen Schein ihres Wesens erhält dann auch die zeittypische Ausstattung ihre Bedeutung. Die Kellerbehausung, die Trümmerstraßen und der wilde Nachtklub geben den Lokalton. Die kahlen Ruinenwände sind mit Suchanzeigen der Überlebenden bedeckt. Allein die lebendige Ausfüllung mit dem Schicksal der beiden Menschen gibt einer solchen, immer etwas drapiert wirkenden Dekoration ihre Bestimmung.

Ihr Mann hat mit dem Vergangenen abgeschlossen

Nelly ist unter Verlust der gesamten Familie dem Konzentrationslager entkommen. Nun wird sie von zwei Seiten gedrängt. Lene (Nina Kunzendorf), eine Freundin aus der Vorkriegszeit, nun Mitarbeiterin des Roten Kreuzes und der Jewish Agency, hat ihr den Einstieg in ein neues Leben gebahnt. Sie erhofft, daß sich dieses fortan in Haifa oder Tel Aviv verwurzelt und entfaltet. Doch das ist gar nicht in Nellys Sinn. Lene bestätigt ihr jene Identität, die ihr von den Verfolgern zugewiesen wurde. Sie weist störrisch zurück: „Ich bin keine Jüdin.“ Schon bei der Wiederherstellung ihres verwüsteten Gesichts hatte sie die Möglichkeiten einer plastischen Veränderung zurückgewiesen. Es sollte alles wieder so werden wie zuvor.

Es ist nicht das Gedicht oder die Liebesromanze, die nach Auschwitz nicht mehr möglich sind, sondern eine imitative Manipulation der Gefühle auf der Grundlage der Vergangenheit. Gerade weil der Film sich die Mimikry des Grauens verbietet, gelingt ihm die Form, die Zusammenfassung der Widersprüche. Nellys entsetzlich entstelltes Gesicht wird im Film nicht ausgestellt. Es bleibt hinter Bandagen verborgen. Es spiegelt sich nur in den entsetzten Zügen eines amerikanischen Soldaten, der an einer Passierstelle dessen Enthüllung fordert.

Nelly will anknüpfen, sie möchte, daß die Entmenschlichung, die Umschaffung ihrer Existenz, endlich aufhört. Darum macht sie sich auf die Suche nach ihrem geliebten Mann Johnny (Ronald Zehrfeld). Möglicherweise war er es, der sie ihrem Leidensweg überantwortet hat. Ob überhaupt, ob unbedacht oder vorsätzlich läßt der Film offen wie vieles andere auch.

Sie entdeckt ihn schließlich als Diener in einem provisorischen Vergnügungslokal und muß feststellen, daß er sie nicht erkennen kann, will und darf. Aus uneingestandenen Gründen der Selbsterhaltung hat er total mit dem Vergangenen abgeschlossen. Eine lebende Nelly bleibt für ihn außerhalb jeder Vorstellungskraft. Er erklärt sie für tot und betreibt zugleich beflissen ihre Auferstehung. Er engagiert sie als Darstellerin ihrer selbst. Denn durch eine frappierende Ähnlichkeit empfiehlt die Unerkannte sich ihm als Komplizin zur Beanspruchung der nicht unbeträchtlichen Hinterlassenschaft ihrer völlig ausgemordeten Familie.

Ein weiblicher Orpheus, der seinen Gatten lockt

So beginnen sie gemeinsam die Äußerlichkeiten ihres einstigen Zusammenlebens wieder einzuüben. Indem sie sich Johnny fügt, entzieht sie sich gleichzeitig jedoch Lene. Damit entsteht ein weiteres Eifersuchtsdrama. Zur unerbittlichen Freundin, die keine Brücke in die Vergangenheit gelten läßt, sagt Nelly fast schwärmerisch: „Johnny hat mich wieder zu Nelly gemacht. Ich bin manchmal ganz eifersüchtig auf mich, wie glücklich ich war.“

Christian Petzold macht Filme über das Geheimnis der weiblichen Seele. Weit mehr noch als ein Vogel Phoenix, der sich neugeboren aus der eigenen Asche hebt, ist Nelly ein weiblicher Orpheus, der seinen Gatten aus der Unterwelt mit Gesang herauflocken will. Die grauenhafteste Zerstörung wurde wohl in Johnny angerichtet. Sie macht sich geltend in der Auslöschung seiner Erinnerung. Ein unüberwindbarer Schmerz umfängt seinen Blick. Die Katharsis kündigt sich in der letzten Szene durch Musik an. Es ist der Punkt, an dem schlechtere Filme anknüpfen würden. Christian Petzold hört genau dort auf.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen