© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

In einem Staat leben, den man liebt
Unabhängigkeitsbewegungen: Trotz des Scheiterns des Referendums in Schottland setzen die Völker Europas auf das Recht auf Selbstbestimmung
Hinrich Rohbohm

Schottland ist auch für uns eine Chance, los von Rom zu kommen“, sagt Elmar Thaler, Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes. Das war noch vor dem Referendum vom 18. September, bei dem sich die schottischen Wähler mit 55 Prozent gegen die Unabhängigkeit ihres Landes entschieden haben.

Thaler ist mit einer Abordnung der Südtiroler nach Edinburgh gefahren, fieberte gemeinsam mit der Yes-Bewegung dem Wahlresultat entgegen. Einen Monat zuvor steht er vor dem Südtiroler Landtag und ist noch voller Zuversicht. „Wenn die Schotten sich von Großbritannien lossagen, wird das auch die Unabhängigkeitsbestrebungen in anderen Ländern beflügeln“, zeigt er sich überzeugt. Das gelte auch für Südtirol. Ob sich die bereits autonome Region später einmal Österreich anschließt oder als eigenständiger Freistaat existieren wird, wäre für Thaler zweitrangig. „Die Hauptsache ist, wir gehören nicht mehr zu Italien.“ Schließlich würden Hamburg oder Berlin ja auch nicht auf einmal zu Italien gehören wollen. „Auch wir wollen in einem Staat leben, der unserem Kulturkreis entspricht. Die Mentalitäten von Deutschen und Italienern sind nun einmal grundverschieden.“

Wirtschaftliche Belange stehen oft im Vordergrund

Darüber hinaus sehen viele Südtiroler vor allem wirtschaftliche Gründe für eine Loslösung von Rom. „Italien ist hochverschuldet und Südtirol eine wirtschaftlich starke Region. Ist doch logisch, von wem sich der Staat dann das Geld holt“, meint etwa der Inhaber eines Schuhgeschäfts in der Altstadt von Meran. Wie er denken viele.

In Bozen wählen manche drastischere Symbole. Im Schaufenster eines Geschäfts in der Innenstadt hängt ein Strick von der Decke. „Als nächstes unsere Autonomie?“ steht auf einem Schild dahinter geschrieben. Ausdruck von Befürchtungen, daß Rom der Region aufgrund der Schuldenkrise den Autonomie-Status nehmen könnte.

„Eigentlich sollten 90 Prozent der Steuereinnahmen Südtirols wieder zurückfließen, damit die Region sich selbst verwalten kann. Aber durch die Verschuldung kommt inzwischen immer weniger. Im Falle der Unabhängigkeit könnte Südtirol über alle Einnahmen selbst verfügen“, erklärt Thaler.

Wirtschaftliche Gründe spielen auch in Venetien eine nicht unerhebliche Rolle. Wie Südtirol zählt die Region zu den wirtschaftlich stärksten in Italien. Daß immer mehr Geld in den Süden des Landes transferiert wird, kann hier schon lange keiner mehr nachvollziehen. „Uns allen würde es doch wesentlich besser gehen, wenn wir ein eigener Staat wären“, sagt Alberto, ein Versicherungskaufmann aus Venedig. Der 37jährige ist entschiedener Befürworter einer Loslösung von Rom. Mit seiner Frau und seinen beiden Kindern schlendert er über den Markusplatz. Jenen Ort, an dem Anfang dieses Jahres einige Unabhängigkeitsaktivisten mit einem selbstgebauten Panzerwagen erschienen, um die demonstrative Erstürmung der Markuskirche vor 27 Jahren zu wiederholen. Er habe das als „witzig und kreativ“ empfunden. Daß die Polizei die Leute verhaften ließ, sei aus seiner Sicht „vollkommen übertrieben“. „Die haben doch nicht die Revolution ausgerufen“, empört sich auch Enrico. Für den Studenten zeige das, wie ernst der Staat die Sezessionsbestrebungen der Nordregionen nehme.

Die Unabhängigkeitsbestrebungen in Europa häufen sich. Flandern, Katalonien, Schottland, das Baskenland, Korsika oder die Bretagne zählen ebenso dazu wie Grönländer oder Triester. Letztere haben kürzlich mittels einer Mahnwache der Movimento Trieste Libero (MTL) in Wien die Wiedererrichtung eines Freistaats Triest gefordert. In der Slowakei will die Partei der Ungarischen Koalition (SMK) eine Autonomie für die südlichen Regionen des Landes erreichen. Selbst auf den schottischen Shetlandinseln spekulierten nicht wenige Einwohner auf einen Anschluß an Norwegen (JF 7/14).

Daß das Referendum scheiterte, sieht Elmar Thaler hingegen nicht als Dämpfer. „Viel wichtiger ist, daß die Schotten bewiesen haben, daß auch im 21. Jahrhundert Abstimmungen über Staatszugehörigkeiten möglich sind. Jetzt schauen wir am 9. November auf Katalonien.“

Fotos: Demonstration für mehr Autonomie in Venedig: Nicht nur die Süd-Tiroler wollen los von Rom; Ob Galizier oder Szekler, Lappe oder Sizilianer – allen gemein ist der Wunsch nach Selbständigkeit

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