© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Profitabel
Asylflut: Die Kommunen mieten Hotels und Privatwohnungen an / Glücksritter wittern das große Geschäft
Heiko Urbanzyk

Die Kommunen schlagen Alarm. Angesichts der größten Asylflut seit 20 Jahren stehen die deutschen Gemeinden mit dem Rücken zur Wand. Die Universitätsstadt Göttingen nimmt beispielsweise Woche für Woche mindestens 20 zusätzliche Asylanten auf – und ist mit ihrem Latein am Ende: Sozialdezernentin Dagmar Schlapeit-Beck rief die Einwohner Mitte September auf, privaten Wohnraum zur Verfügung zu stellen, da die Aufstellung von Wohncontainern bis zu drei Monate dauere.

„Als wertvolle Sofortmaßnahme könnten private Vermieterinnen und Vermieter aus der Stadt und dem Landkreis unsere Bemühungen durch die Bereitstellung von Wohnungen unterstützen“, so die SPD-Politikerin. Insbesondere Wohnraum für große Familien mit vier bis sieben Kindern sei Mangelware. Potentiellen Vermietern winken Mietverträge mit einer Mindestlaufzeit von einem Jahr. „Unter Umständen kann aber auch die Stadt Göttingen als Vertragspartner auftreten. Die Mietkosten werden in der Regel von der Kommune getragen“, heißt es in dem Aufruf. Die Unterbringung von Asylbewerbern in Wohnungen und Hotels lockt private Geschäftemacher und kostet den Steuerzahler – ja, wieviel eigentlich? Eine Spurensuche.

Rechtlich gesehen liegt die Verantwortung für die Unterbringung bei den Bezirksregierungen, Landkreisen und Kommunen. Ein Gesamtbild über die wahre Kostenlast läßt sich daher kaum zeichnen, zumal die Kosten örtlich je nach Mietspiegel deutlich variieren. Anfragen der JF an die übergeordneten Landesministerien versandeten fast vollständig – aufgrund der kommunalen Verantwortlichkeit lägen keine Zahlen vor, heißt es einhellig. Formal seien in Hamburg keine Asylbewerber in Hotels untergebracht, teilt die Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration mit, um dann einzuschränken: „De facto nutzen wir ein Hotelgebäude zur öffentlichen Unterbringung von rund 160 Personen.“

Landkreis Bautzen rettet Spree-Hotel vor der Pleite

Das Hotel sei mittlerweile ein regulärer Standort der öffentlichen Unterbringung, erklärt Pressesprecher Marcel Schweitzer. Die damaligen Hotelplätze hätten 17 Euro pro Person pro Tag zuzüglich der nicht genannten Kosten des „Unterkunfts- und Sozialmanagements“ gekostet. Bei längerfristig angemieteten Objekten lägen die täglichen Durchschnittskosten für den reinen Wohnraum bei 11,15 Euro. In Berlin sind laut Constance Frey von der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales 500 Asylbewerber in Hotels einquartiert. Zu den durchschnittlichen Kosten wollte sie nichts sagen, da diese „wenig aussagekräftig“ seien.

Auch kommunale Spitzenverbände beklagen sich gegenüber der JF darüber, daß die Kommunen der Lage nicht mehr Herr werden. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderte sogar einen „Marshallplan Flüchtlingshilfe“, der einen Ausbau der Aufnahmeinfrastruktur zum Beispiel durch Umnutzung leerstehender Kasernen und Immobilien vorsieht. „Mittelfristig ist es kostengünstiger, solide Einrichtungen zu schaffen, die auf Dauer für diese Zwecke genutzt werden können, als kurzfristig teilweise überteuerte Hotels oder private Wohnungen anmieten zu müssen“, heißt es in einem Positionspapier. Konkrete Zahlen kann oder will aber selbst der hilfsbereiteste Pressesprecher nicht nennen.

Die liefert die Lokalpresse. Wie der Bayerische Rundfunk berichtete, hat beispielsweise das geschäftstüchtige Ehepaar Barbara und Alfio Scarvaglieri seinen vor vier Jahren geschlossenen Gasthof in einem Gewerbegebiet am Ortsrand von Seeg im Ostallgäu wieder eröffnet, nachdem das Landratsamt Marktoberdorf nach Asylunterkünften suchte: Sechs Afrikaner aus Eritrea kehrten auf Staatskosten ein. Der italienischstämmige Herbergsvater bekocht die ehemaligen Soldaten im Alter von 19 bis 24 Jahren im Auftrag des Kreises. Pressesprecherin Susanne Kettemer will zu den konkreten Verträgen nichts sagen, äußert sich nur generell zu den Unterbringungskosten von Asylantragstellern: „Die Kosten liegen bei maximal 25 Euro pro Nacht und Person.“ Für den Betreiber der geschlossenen Gaststätte würden dies 4.500 Euro im Monat bedeuten.

Im sächsischen Bautzen schloß das Landratsamt der Kreisstadt mit dem Betreiber des früheren Vier-Sterne-„Spreehotels“ einen Mietvertrag für zehn Vierbett-, 20 Dreibett- und 25 Doppelzimmer. Damit können in der Einrichtung bis zu 150 Personen untergebracht werden. Der Hotelbetreiber erhält bis dahin 13 Euro pro Person und Nacht einschließlich Betriebskosten und Verpflegung. Das macht monatlich 58.500 Euro. Das Hotel wurde eigens für die neuen Gäste im Sommer für 300.000 Euro renoviert. „Mit dem Mietvertrag entgeht der Hotelbetreiber der drohenden Pleite“, berichtete der MDR.

Geschlossene Gasthöfe, nicht ausgelastete Hotels vor der Pleite, leere Mietskasernen. Die Gesamtschau verstreuter Lokalmeldungen ergibt ein klares Bild: Die neue Raumnot im dichtbevölkerten Deutschland wird zur staatlichen Subvention gescheiterter Unternehmer. 13 oder 20 Euro pro Nacht sind nicht 90 Euro, die ein Zimmer je nach Lage und Güte eigentlich kosten mag. Aber der Staat zahlt garantiert und das 365 Tage im Jahr. Ein neues Geschäftsmodell? „Die Suche des Landkreises nach Unterkünften ließ private Immobilienbesitzer ein Geschäftsmodell entwickeln“, schreibt die Ludwigsburger Kreiszeitung. Gebäude, die sie momentan nicht anders nutzen können, würden so, wie sie dastehen, dem Landkreis zur Miete angeboten. Der Landrat sei in seiner Not den Privaten „dankbar“. Der Kreis sei ein solventer Mieter, halte sich an die ortsübliche Vergleichsmiete. Auf das „großzügige“ Angebot eines Hotelbesitzers, Flüchtlinge für 78 Euro pro Nacht einschließlich Frühstück zu beherbergen, ging der Kreis aber nicht ein. Statt dessen ist geplant, das seit kurzem leerstehende mittelalterliche Schloß Kaltenstein in Vaihingen anzumieten. Es bietet bis zu 250 Asylanten Platz.

„Das Geld dafür hat einfach da zu sein“

Glücksritter, die mit der Vermietung von Immobilien an den Staat das große Geschäft wittern, kennt das Landrats-amt Ostallgäu zur Genüge: „Verstärkt bekommen wir jedoch über Immobilienmakler Gebäude angeboten, die vor dem Kauf durch Investoren bereits Verträge mit uns abschließen wollen“, sagt Susanne Kettemer. Immer öfter müßten aber ungeeignete Immobilien abgelehnt werden.

Die Lage in den kreislichen Asylbehörden ist dramatisch: „Wir haben selbst keine Klarheit. Heute stehen drei, morgen 15 und übermorgen 30 Asylanten vor der Tür. Wir müssen jedem sofort sämtliche Leistungen und Unterkunft gewähren. Das Geld dafür hat einfach da zu sein“, redet ein Mitarbeiter eines Landratsamtes in einer Tourismus-Region von Nordrhein-Westfalen gegenüber der JF Klartext. Erschwerend komme hinzu, daß fast niemand abgeschoben werde: „Gegen abgelehnte Asylbewerber wird hier nicht vollstreckt. Sonst hätten wir Probleme gar nicht.“ Namentlich möchte er nicht erwähnt werden. Die beruflichen Nachteile wären zu groß.

Foto: Gasthaus zum zahlenden Deutschen: Im Hotel Pollinger (München-Aubing) kamen vormals Gäste privat für ihre Spesen auf, 2013 quartierte die Berzirksregierung 120 Asylbewerber ein – auf Staatskosten

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