© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Hannover droht ein heißer Herbst
„Sexuelle Vielfalt“ an den Schulen: Geht es nach Rot-Grün, wandelt Niedersachsen in der Bildungspolitik bald auf den Spuren Baden-Württembergs
Christian Vollradt

Ein leichtes Zittern in der Stimme konnte sie nicht ganz verhindern, auch wenn sich Karin Bertholdes-Sandrock sichtlich Mühe gab, beherrscht zu wirken. „Da gibt es nichts vor- oder zurückzurudern, weder nach links noch nach rechts“, meinte die CDU-Abgeordnete am vergangenen Freitag im Kultusausschuß des niedersächsischen Landtags.

Betretene Mienen im Sitzungssaal 235. „Was ich gerade hinter mir habe, nennt man wohl einen Shitstorm“, führte die Politikerin aus dem Wendland weiter aus. Als „christliche Sau“, die doch „nach Rußland gehen“ solle, sei sie im Internet beschimpft worden, „Volksverhetzung“ habe man ihr vorgeworfen. Und das alles nur, weil sie ein Journalist falsch zitiert habe. Was war geschehen? Die Schul-Expertin der Union und stellvertretende Ausschußvorsitzende hatte den Plan der rot-grünen Koalition kritisiert, künftig „Homo-, Bi-, Trans- und Intersexualität an der Schule verbindlich“ zu thematisieren und „die Kerncurricula aller Klassenstufen“ entsprechend zu ergänzen. Auch die CDU strebe ein Klima der gesellschaftlichen Toleranz an, betont Bertholdes-Sandrock, allerdings erfordere dieses Thema „außerordentliche Sensibilität und Altersangemessenheit“.

Vor allem stört die gelernte Studienrätin die Idee von Grünen und SPD, die Vermittlung der „Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten“ in die Hände von Außenstehenden zu legen. „Es widerspricht unserem Verständnis von Schule, wenn der Lehrer bei sensiblen Themen den Raum verläßt und Interessenvertreter unkontrolliert Inhalte vermitteln, so wie es die in dem Antrag genannte Initiative ‘SchLAu Niedersachsen’ praktiziert“, so Bertholdes-Sandrock. „SchLAu Niedersachsen“ ist ein 2011 gegründetes Netzwerk zur Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit unter Trägerschaft des vom Land geförderten Vereins Schwules Forum Niedersachsen. Im Beitrag einer Regionalzeitung, der im Internet die Runde machte, hieß es dann verkürzend, die Christdemokratin habe davor gewarnt, Schwule und Lesben allein gegenüber den Kindern auftreten zu lassen. Bertholdes-Sandrock betont, sie habe nur gefordert, die gängige

Praxis mit allen externen Unterrichtsbesuchern anzuwenden, seien dies Soldaten, Kleingärtner – oder aber Mitglieder von Homosexuellen-Verbänden.

Im Ausschuß selbst wird inhaltlich nicht weiter über das Thema diskutiert; auch der SPD-Abgeordnete Claus Peter Poppe, der die Äußerungen der CDU-Kollegin zuvor noch öffentlich empört ins „Mittelalter“ verwiesen hatte, schwieg.

Vor dem Landtag haben sich unterdessen etwa zwanzig Personen versammelt, um gegen die rot-grünen Pläne zu protestieren. Berittene Polizisten halten wiederum die Gegendemonstranten auf Distanz. „Frühsexualisierung an Grundschulen? – Nein danke“ steht auf einem der Banner. „Wir wollen aus uninformierten Eltern betroffene Eltern machen“, sagt Gerriet Kohls, Vorsitzender der Freien Wähler in der Region Hannover. Kohls hat im Internet eine Petition gegen die Einführung des Themas „Sexuelle Vielfalt“ im Unterricht gestartet, die über 6.000mal unterzeichnet wurde. Das Vorbild Baden-Württemberg „stimmt mich jedenfalls nicht mißmutig“, sagte Kohls der JUNGEN FREIHEIT. „Wir richten uns nicht gegen Homosexuelle. Sexualität ist eine höchst private Angelegenheit“, führt er aus und die Umstehenden pflichten ihm bei. Auch hier sieht man eine mögliche Delegierung des „Vielfalt“-Unterrichts in fremde Hände besonders kritisch: „Wenn ich mein Kind in der Schule abliefere, gebe ich die Verantwortung allein an die dafür ausgebildeten Lehrer ab“, so einer der Demonstranten. Freie-Wähler-Chef Kohls ergänzt ironisch: „Sonst könnte ich ja auch mal den Hegeringsleiter meiner Jägerschaft in der Schule vorbeischicken“

Bis zum 7. Oktober läuft das schriftliche Anhörungsverfahren, danach entscheiden die Abgeordneten im Kultusausschuß, ob zusätzlich noch mündliche Anhörungen stattfinden sollen. Und wenn ja, mit wem. Sehr kritisch zum rot-grünen Vorhaben äußerten sich bereits die Elternräte der Gymnasien. „Das aktuelle Schulgesetz ist, wie die gelebte Praxis zeigt, völlig ausreichend“, so ihre Bewertung. Der Landtagsausschuß tagt wieder am 10. Oktober. In Niedersachsen kann es einen heißen Herbst geben. Meinung Seite 2

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