© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Unabhängig von Herkunft oder Religion
Rechtspolitik: Der Juristentag lehnt es ab, Gesetze für kulturelle Traditionen von Zuwanderern zu öffnen
Gerhard Vierfuss

Die mit der multikulturellen Gesellschaft verbundenen Probleme für das Zusammenleben beschäftigen in zunehmendem Maß auch das Strafrecht. Mittlerweile hat der Gesetzgeber reagiert: durch die Einfügung der Straftatbestände der Verstümmelung weiblicher Genitalien (Paragraph 226a Strafgesetzbuch) und der Zwangsheirat (Paragraph 237 StGB). Doch zahlreiche weitere Fragen stellen sich: Ist etwa das strafrechtliche Verbot der Bekenntnisbeschimpfung (Paragraph 166 StGB) noch zeitgemäß? Inwieweit muß die kulturelle und religiöse Prägung des Täters bei der Strafzumessung berücksichtigt werden? Sollen fremdenfeindliche Motive zukünftig stärker als bisher strafschärfend wirken?

Mit diesen und weiteren Problemen befaßte sich in der vergangenen Woche der Deutsche Juristentag (DJT) auf seiner 70. Tagung in Hannover. Der DJT ist eine Vereinigung von Juristen aus allen Fach- und Berufsgruppen. Auf seinen alle zwei Jahre stattfindenden Kongressen diskutiert er auf der Grundlage von wissenschaftlichen Gutachten und Fachvorträgen aktuelle gesellschaftliche Fragen und gibt Empfehlungen ab, die in der Politik gewöhnlich große Beachtung finden. Das Thema der Abteilung Strafrecht lautete in diesem Jahr: „Kultur, Religion, Strafrecht – Neue Herausforderungen in einer pluralistischen Gesellschaft.“

Tatjana Hörnle, Strafrechtsprofessorin in Berlin, plädierte in ihrem Gutachten sehr klar für ein Festhalten an den Maßstäben der Rechtsgemeinschaft und deren Anwendung auf alle Straftäter, unabhängig von Herkunft oder Religion. Eine Berücksichtigung fremder kultureller Prägung bei der Beurteilung eines Verbotsirrtums oder bei der Strafzumessung erklärte sie nur in Ausnahmefällen für zulässig; im Fall eines Konflikts zwischen Rechtsnorm und kultureller Vorschrift etwa nur dann, wenn er für den Täter eine Bedrängnis darstellte und die kulturelle Regel nicht in fundamentalem Widerspruch zur Rechtsordnung steht. Das Mordmerkmal der „niedrigen Beweggründe“ sei auch weiterhin aus objektiver Perspektive auszulegen; ein Irrtum hinsichtlich der Bewertung des eigenen Tatmotivs sei unbeachtlich.

Verfassungsmäßigkeit

von Beschneidungen

In der Diskussion und Beschlußfassung zeigten sich Differenzen vor allem bei zwei konkreten Tatbeständen: Hörnle hatte die Berechtigung des Paragraphen 166 StGB bestritten. Hingegen betonte Bundesverfassungsrichter Wilhelm Schluckebier in seinem Referat die zwar vorwiegend symbolhafte, aber dennoch werteprägende Funktion des strafrechtlichen Bekenntnisschutzes; dem schloß sich eine Mehrheit an. Der zweite Dissens betraf den vor kurzem neu in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügten Rechtfertigungsgrund für die Beschneidung von Jungen. Hörnle hatte die Verfassungsmäßigkeit der Regelung unter der Bedingung einer engen Auslegung bejaht, die bloße hygienische oder ästhetische Präferenzen der Eltern nicht genügen läßt. Nach kontroverser Debatte folgte ihr eine knappe Mehrheit.

Verteidigung der deutschen Leitkultur

Diese Ergebnisse juristischer Feinarbeit, so wichtig sie sind, werden jedoch in den Schatten gestellt durch die Beschlüsse zu grundsätzlichen Fragen. Mit überwältigender Mehrheit, teilweise – bei etwa 90 Teilnehmern – sogar einstimmig, folgte die Strafrechtsabteilung der von der Gutachterin vorgegebenen Linie. Man kann von einer Manifestation des Willens zur Verteidigung deutscher Leitkultur auf dem Gebiet des Strafrechts sprechen. Einige Beispiele: Die Beschlußvorlage „Angesichts einer in Deutschland zunehmend pluralistisch geprägten Gesellschaft sollten Gesetzgebung und Rechtsprechung den unterschiedlichen kulturellen und/oder religiösen Vorstellungen auch im Bereich des Strafrechts deutlich stärker als bisher Rechnung tragen“ wurde mit 80 gegen eine Stimme zurückgewiesen.

Selbst die abgeschwächte Formulierung, es sollten „auch im strafrechtlichen Bereich unterschiedliche kulturelle und/oder religiöse Vorstellungen beachte(t werden); der tradierten deutschen Rechtskultur ist dabei jedoch ein starkes Gewicht beizumessen“, fand nur elf Befürworter bei 69 Gegenstimmen. Beschlossen, mit einer Mehrheit von 77 gegen fünf Stimmen, wurde schließlich die Empfehlung, „sich im strafrechtlichen Bereich (…) zuvörderst an den Vorstellungen der hiesigen Rechtsgemeinschaft (zu) orientieren. Hiervon abweichende Vorstellungen werden nur in seltenen Ausnahmefällen Berücksichtigung finden können.“

Den deutlichsten Widerspruch gegen Tendenzen, für Angehörige fremder Kulturen ein Kuschel-Strafrecht zu etablieren, gab es bei der Abstimmung über den Vorschlag, die religiöse oder kulturelle Prägung eines Täters zur Grundlage für einen neuen Rechtfertigungsgrund zu nehmen: Alle 90 Anwesenden lehnten ihn ab. Und für Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatten die Strafjuristen schließlich noch ein ganz besonderes Präsent: Der von seinem Ministerium geplanten Ergänzung der Strafzumessungsregeln in Paragraph 46 StGB um die speziellen Kriterien der „rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonst menschenverachtenden Motive“ (Haßkriminalität) erteilten sie mit 73 gegen 13 Stimmen eine klare Absage.

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