© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Aufgeschnappt
Dramaturgisches Idyll
Matthias Bäkermann

Schön ist’s, an einem sonnigen Altweibersommertag am Hackeschen Markt in Berlin müßig sitzend „Leute zu kieken“. Das hat jüngst auch Frank Castorf getan, wie er vergangenen Dienstag im Berliner Tagesspiegel bekannte. Natürlich beeilt sich der langjährige Intendant der Volksbühne, „wo ich sonst nie sitze“ hinzuzufügen. Denn dort, wo Touristenströme pilgern und alles „schnieke“ ist, trinkt ein so avantgardistischer Geist nicht seinen Kaffee. Niemals. Auch wenn Castorf seinen Wohnsitz just an diesem touristischen Hotspot der Hauptstadt gewählt hat. Lieber schwärmt er im Interview vom siffigen „Piß-Berlin“ der Nachwendezeit und äfft damit brav die im linken juste milieu verbreitete Schwelgerei von der ebenso guten, alten wie grauen Zeit nach.

Gott sei Dank, so beruhigt sich der Theatermann, hat das September-Idyll in Berlin-Mitte ein versöhnliches Ende gefunden: Denn „prompt wurde meiner Freundin von einem südeuropäisch wirkenden Menschen ihr Smartphone gestohlen“. Da die „Rumänen und Bulgaren“ den Diebstahl begangen haben, „weil sie Hunger haben und nicht weil sie Apple toll finden“, wie Castorf weiß, hat sein an wilde trashige Berliner Zeiten erinnerndes Abenteuer auch noch eine philanthropische Note bekommen.

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