© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/14 / 19. September 2014

Der Flaneur
Neue alte Spiele
Paul Leonhard

Ein spätes Frühstück im Hinterhof. Alte Freunde sind gekommen. Auch neue Gesichter sind dabei. Ein Dutzend Endvierziger. Die Gastgeber haben einen Tisch in den Schatten eines Apfelbaumes gerückt. Jeder hat etwas mitgebracht. Während einige noch von der neuen Marmeladenkreation der Gastgeberin schwärmen, wird an anderer Stelle politisiert. Es geht um die Sommerferien und die derzeit allgegenwärtigen Tips in den Ratgebersendungen, was die von soviel schulfreier Zeit überforderten Eltern mit ihren Kleinen veranstalten könnten.

Schnell springt die Diskussion zurück in die Vergangenheit. Seine Eltern hätten keinen Ratgeber gebraucht, sagt Thomas. Zwei Wochen sei er im Betriebsferienlager gewesen. Und die andere Zeit habe er sich mit seinen Kumpels herumgetrieben, zu Fuß oder mit dem Fahrrad die Umgebung erkundet. Und die vielen klassischen Spiele ...

Gestandene Männer und Frauen schwärmen plötzlich vom „Räuber und Gendarm“-Spielen.

Gestandene Männer und Frauen schwärmen plötzlich vom „Räuber und Gendarm“-Spielen, von Länderraub und Klingelstreichen. „Heute, da hocken die Kinder stundenlang vor dem Fernseher oder dem Computer, wenn die Eltern nicht aufpassen“, sagt Corinna. Die Runde schweigt, lauscht in sich hinein. Dann meldet Conrad Widerspruch an. Wenn bei seinem Zehnjährigen die Kumpels klingeln, schalte der die Technik aus und verwandle sich in einen kleinen Lausbuben, der auf die Straße will. Aber was spielen die Kinder? Allgemeines Rätselraten. Dann entsinnt sich Susanne, die mit ihrer neunjährigen Tochter gekommen ist. Diese sitzt die ganze Zeit abseits und malt.

„Emma, was spielt ihr draußen so?“ Die Kleine kommt zum Tisch und zählt auf: Fangen, Verstecken, Drachen zähmen. Da seien die einen die Wikinger und müßten den Drachen fangen. „Auch Gummi­twist?“ fragt Thomas. Emma nickt. Die Erwachsenen lächeln selig, haben ein neues Thema: „Dieser Schlüpfergummi, wo hatten wir den eigentlich her?“

Emma zieht sich zu ihren Malstiften zurück. Leider ist sie heute das einzige Kind im Hinterhof.

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