© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/14 / 19. September 2014

Am Rhein steckengeblieben
Vor 70 Jahren: Montgomerys Fiasko bei Arnheim durchkreuzte die Strategie eines schnelles Sieges der Alliierten schon im Herbst 1944
Egon W. Scherer

Im Spätsommer des Jahres 1944 schien das Ende des Dritten Reiches nahe, das Kriegsende in Sicht. In Ost und West waren die Fronten zusammengebrochen, schoben sich die feindlichen Armeen an die Reichsgrenzen heran. Doch ein spektakuläres Ereignis, das Scheitern der größten Luftlandeoperation der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, wurde für die bedrängten Deutschen zum Fanal, das noch einmal den Durchhaltewillen entscheidend stärkte.

Nach der alliierten Invasion in der Normandie hatte die Wehrmacht von Anfang Juni bis Ende Juli dem ständig stärker werdenden Feind widerstanden, bis der Panzerdurchbruch von Avranches Ende Juli und der im Kessel von Falaise gescheiterte deutsche Gegenstoß Mitte August die deutsche Niederlage besiegelten. Anfang September näherten sich die alliierten Armeen bereits dem Westwall.

General Pattons 3. amerikanische Armee hatte die Maas bei Verdun überschritten und stand bei Metz kurz vor dem Industriegebiet an der Saar, die 1. amerikanische Armee unter General Hodges hatte Namur und Lüttich genommen und ging gegen die deutsche Grenze bei Aachen vor. Im Norden erreichte am 3. September eine Panzerspitze der 2. britischen Armee nach ungestümem Vormarsch Brüssel. Am Tag darauf preschte eine Panzerdivision der Briten bis Antwerpen und nahm dort die großen Docks ein, bevor überraschte deutschen Einheiten dort noch Zeit für die vorgesehenen Sprengungen fanden.

Montgomery wollte noch vor Weihnachten in Berlin sein

Inzwischen hatte auch eine weitere Landung in Südfrankreich die alliierte Streitmacht verstärkt. Am 15. August waren die Amerikaner an der Côte d’ Azur zwischen Toulon und Cannes gelandet (Operation „Dragoon“). Nach der Eroberung der wichtigen Nachschubhäfen Toulon und Marseille stieß die 7. amerikanische Armee durch das Rhone-Tal bis zur Schweizer Grenze vor. Schon am 12. September erfolgte bei Landres in der Bourgogne die Vereinigung mit den aus der Normandie vorstoßenden Invasionsstreitkräften. Die deutschen Truppen aber befanden sich überall im Westen auf dem Rückzug, hatten große Verluste an Menschen und Material erlitten und waren vielfach demoralisiert. Mancherorts glich ihr Rückzug einer regellosen Flucht. In dieser Situation reifte bei den Alliierten ein kühner Plan, der ein schnelles Ende des Krieges herbeiführen sollte.

Vater des Gedankens war der britische Feldmarschall Bernard Law Montgomery, der die Streitkräfte im Norden befehligte. Ursprünglich hatte Montgomery gefordert, seine eigene, nur britische und kanadische Truppen umfassende 21. Heeresgruppe sowie die 12. Heeresgruppe unter US-General Omar Bradley „als eine solide Masse von 40 Divisionen“ zusammenzufassen, um mit einem mächtigen Stoß nach Nordosten über den Niederrhein in die Norddeutsche Tiefebene einzubrechen.

Der alliierte Oberbefehlshaber, US-General Dwight D. Eisenhower, war allerdings mehr dafür, „auf breiter Front“ gegen Deutschland vorzugehen. Zudem traten seine beiden Unterführer Bradley und Patton für einen östlichen Vorstoß durch das Saargebiet bis zum Rhein ein, und Pattons Panzer hatten schließlich schon durch ihr weites Vorpreschen vollendete Tatsachen geschaffen. Immerhin entschied Eisenhower, Montgomerys nördlicher Vorstoß solle für den Augenblick Vorrang erhalten.

Montgomerys Ziel war zunächst das Ruhrgebiet – trotz schwerer Zerstörungen durch den Luftkrieg noch immer die bedeutendste Waffenschmiede des Dritten Reiches. Die 2. britische Armee sollte nach einem Vorstoß durch Holland das Ruhrgebiet von Norden umfassen, die 1. amerikanische Armee nach einem Durchbruch bei Aachen das Rüstungsgebiet südlich umgehen. Nach Eroberung des Ruhrgebietes sollten beide Armeeen, die dann den Schwerpunkt des alliierten Vormarsches gegenüber dem eigenen Oberkommando erzwungen haben würden und mit ausreichender Verstärkung rechnen konnten, auf die Elbe und weiter auf Berlin vorstoßen. Noch vor Weihnachten, so Montgomery, könnte der Krieg beendet sein.

Kernpunkt von Montgomerys Plan war das Unternehmen „Market Garden“, eine kombinierte Aktion von Boden- und Luftlandetruppen. Dabei sollten erstmals drei bisher noch in England zurückgehaltene Luftlandedivisionen eingesetzt werden – englische und amerikanische Elite-Verbände, die seit dem Durchbruch von Avranches schon etliche Male für Aktionen eingeplant gewesen waren, die dann aber jeweils wegen des schnellen Zusammenbruchs des deutschen Widerstandes obsolet wurden. Diese Fallschirmjäger sollten nun, im Sprungeinsatz und mit Lastenseglern abgesetzt, die Brücken entlang der Linie Eindhoven-Uden-Grave-Nimwegen-Arnheim besetzen, sozusagen einen „Teppich“ über den Wasserläufen Wilhelminakanal, Zuid-Willems-waart, Maas, Waal und Rhein ausrollen, über den dann drei britische Korps, das XXX. Korps und flankierend das XII. und VIII. Korps, vorstoßen und die Wasserläufe überwinden würden.

Wenn alles klappte, würde das Ergebnis ein Brückenkopf auf dem Nordufer des Niederrheins sein, jenseits der letzten Brücke, der Brücke von Arnheim. Der würde schließlich bis zur Zuidersee ausgeweitet werden und den Ausgangspunkt für den Vorstoß gegen das Ruhrgebiet bilden.

Am 17. September 1944 startet in Südengland eine gewaltige Luftarmada. Insgesamt 5.000 Maschinen füllen den Himmel – Bomber, Jäger und Transporter. An diesem und den folgenden Tagen bringen Flugzeuge mit 2.500 Lastenseglern im Schlepp nach einem vorausgehenden Bombenhagel 35.000 Mann mit Ausrüstung und Fahrzeugen an den Feind. Die 101. US-Luftlandedivision springt und landet nördlich Eindhoven, die 82. US-Luftlandedivision im Raum Grave und die 1. britische Luftlandedivision im Raum Arnheim. Die Amerikaner erreichen gegen teilweise nur schwachen Widerstand meist ihre Ziele, auch der Angriff der Bodentruppen kommt anfangs gut voran, um sich dann allerdings infolge schwieriger Geländeverhältnisse und wachsender Gegenwehr ständig zu verlangsamen und schließlich steckenzubleiben – zur Katastrophe aber gerät das Unternehmen der Briten im Raum Arnheim. Die britischen Fallschirmjäger landen in einem Raum, in dem sie auf von der eigenen Aufklärung gänzlich unentdeckte Einheiten von zwei SS-Panzerdivisionen stoßen.

Die Divisionen „Hohenstaufen“ und „Frundsberg“ hatten seit der Invasion in der Normandie fast ununterbrochen im Kampf gestanden. Schließlich hat Generalfeldmarschall Walter Model, als Rommels Nachfolger Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B, ihrem Kommandeur SS-Obergruppenführer Wilhelm Bittrich die Herauslösung der angeschlagenen Truppen aus der Front und die Verlegung zur Auffrischung in den ruhigen Raum von Arnheim genehmigt. Hier werden die zwar geschwächten, doch kampferprobten und fanatisch kämpfenden SS-Grenadiere zu gefährlichen Gegner der Briten. Es gelingt den Engländern nicht, die Brücke von Arnheim zu erobern.

Deutsche bereiteten den Briten gewaltige Verluste

Eine weitere Verkettung unglücklicher Umstände ließ das ganze Unternehmen „Market Garden“ schließlich scheitern: Nebel in England verzögerte den Abflug der zweiten großen Gruppe von Luftlandeeinheiten; den Deutschen fielen die Gefechtspläne für die Aktion in die Hände; bei den Briten versagten im ungünstigen Gelände die Funkgeräte – und die Entsatztruppen, die sich von Süden her nach Arnheim vorkämpften, kamen nie ans Ziel. Die Verteidiger aber verstärkten sich ständig, nicht zuletzt auch durch die Soldaten der hier eingesetzten 1. Fallschirmjäger-Armee des Generalobersten Kurt Student, und erkämpften schließlich einen Sieg, den letzten deutschen Sieg im Zweiten Weltkrieg.

Zwar hatten die Alliierten alle Ziele der Operation „Market Garden“ erreicht – außer Arnheim. In der erbittert umkämpften Stadt verbluteten in einer neuntägigen Schlacht die eingeschlossenen britischen Fallschirmjäger, ebenso in einer kilometerweit entfernten Igelstellung bei Oosterbeek. Nur Reste, die sich durchschlagen konnten, erreichten noch die eigenen Linien. Von den 17.200 Mann, die das Unternehmen nach den Berechnungen des amerikanischen Historikers Cornelius Ryan („Die Brücke von Arnheim“) gekostet hat, entfallen 7.872 auf die Kämpfe bei Arnheim. Von den insgesamt 10.095 hier gelandeten Soldaten ein ungeheurer Blutzoll.

Da aber die Brücke von Arnheim nicht genommen werden konnte, blieb auch der Korridor, den die Alliierten bis nahe an den Rhein getrieben hatten, ohne Sinn. Es gab keinen Rheinübergang, keinen Vorstoß zur Ruhr, schon gar nicht nach Berlin, und der Krieg war Weihnachten 1944 noch lange nicht zu Ende.

Foto: Rheinbrücke in Arnheim 1944: Vom Besitz dieser Brücke hing letztlich die gesamte alliierte Strategie ab

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