© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/14 / 19. September 2014

Fehdegrüße nach Madrid
Katalonien: Euphorische Stimmung vor dem Unabhängigkeitsreferendum im November
Hinrich Rohbohm

Es ist eine Abstimmung mit den Füßen. Am vergangenen Donnerstag, am Tag des Diada de Catalunya, dem Nationalfeiertag der Katalanen, gehen in Barcelona Hunderttausende auf die Straße, um für die Unabhängigkeit ihrer Region zu demonstrieren. Sie tragen rote oder gelbe Hemden, die Farben Kataloniens. Die Entwicklungen in Schottland, deren Loslösungsbestrebungen von Großbritannien mit dem Herannahen des Referendums in immer greibarere Nähe rückt, hat auch die Menschen im Nordosten der Iberischen Halbinsel elektrisiert.

Auch sie wollen die Unabhängigkeit. Einen eigenen Staat Katalonien. Das Gebiet zwischen dem Mittelmeer und den Pyrenäen ist die Heimat von 7,5 Millionen Menschen und zählt zu den wirtschaftlich stärksten Regionen Spaniens. Sagt sich die Region von Madrid los, würde dies das ohnehin finanziell angeschlagene Land mit seiner hohen Arbeitslosigkeit schwer treffen.

Somit ist es nicht verwunderlich, daß sich die spanische Regierung auf die Verfassung beruft. Denn danach ist ein Referendum über die Unabhängigkeit, wie von den Katalanen für den 9. November geplant, nicht zulässig.

„Wenn wir es aber in der EU ernst meinen mit Demokratie und Selbstbestimmungsrecht, dann müssen die Bürger selbst entscheiden dürfen, in welchem Land sie leben möchten“, sagt Anna Arqué. Die Sprecherin der International Commission of European Citizens (ICEC) engagiert sich nicht nur für die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, sondern fordert auch das Selbstbestimmungsrecht anderer europäischer Regionen ein, mit denen sie sich vernetzt hat und Erfahrungen austauscht.

Arqué sieht Katalonien zunehmend in einer Aufbruchstimmung. „Wenn ich früher als Kind mit meiner Mutter einkaufen gegangen bin und jemand begann, über die Unabhängigkeit zu reden, geschah das sehr leise und verhalten. Meine Mutter ermahnte mich damals noch, nicht so laut zu sprechen“, erinnert sich die politische Aktivistin an frühere Zeiten. Heute habe sich das grundlegend geändert. „Wir reden inzwischen ganz offen darüber, es gibt da keine Probleme mehr.“

Ein Streifzug durch Barcelonas Innenstadt macht schnell deutlich, was Anna Arqué meint. An zahlreichen Hausfassaden hängen auch im Alltag unzählige „Esteladas“, jene rot-gelb gestreiften katalanischen Flaggen, die zudem am oberen Ende einen weißen Stern in einem blauen Dreieck beinhalten.

Madrid wertet Referendum als verfassungswidrig

In Barcelonas Prachtstraße La Rambla, die vom Plaça de Catalunya bis zum Hafen nach Barceloneta reicht, stehen Unabhängigkeitsbefürworter an ihren aufgebauten Informationsständen und werben für die Loslösung von Spanien. „In Madrid sehen wir Franco, Monarchie und Faschismus“, sagt einer von ihnen. Katalonien solle demokratisch, republikanisch sein, sagen sie. Sie selbst bezeichnen sich als Sozialisten. Auch das ist nicht verwunderlich.

„Die Parteienlandschaft Kataloniens ist eindeutig links“, erklärt Anna Arqué. Dies sei noch eine Folge aus der Bürgerkriegszeit der dreißiger Jahre, als eine sozialistisch-kommunistisch dominierte Volksfront von Barcelona aus gegen Francos Faschisten in Madrid kämpfte. „Eine Partei wie die deutsche CDU wäre in Katalonien im parlamentarischen Spektrum am äußersten rechten Rand anzusiedeln“, verdeutlicht die Aktivistin, die davon überzeugt ist, daß eine Abspaltung von Madrid der Region enorme wirtschaftliche Vorteile bringen werde.

Derzeit würden die Katalanen mit ihren Steuergeldern maßgeblich die ärmeren Regionen Spaniens finanzieren, gleichzeitig aber bei Infrastrukturprojekten benachteiligt. Die geplante Trassenlinie einer Autobahn von Madrid nach Frankreich etwa verlaufe nicht durch Katalonien, sondern um die Region herum. „Das ist deutlich teurer. Aber die spanische Regierung hat offenbar Angst davor, in eine Gegend zu investieren, die möglicherweise bald nicht mehr zu Spanien gehören wird“, vermutet Arqué.

Schon jetzt sind die Loslösungsbestrebungen gerade in der Provinz deutlich zu spüren. 200 katalanische Dörfer haben bereits von sich aus die Unabhängigkeit ausgerufen. Das hat zwar nur symbolische Bedeutung und rechtlich keine Bestandskraft. In der Praxis jedoch kommt es vor, daß einzelne Kommunen bereits die Steuern ihrer öffentlich Bediensteten nicht mehr an Madrid, sondern an Barcelona abführen. Bürgermeister einzelner Dörfer erklärten den spanischen Nationalfeiertag zum normalen Arbeitstag. Und vor einem Jahr demonstrierten die Katalanen mit einer 400 Kilometer langen Menschenkette entlang ihrer Küste für die Unabhängigkeit.

Sollte das bisher als verfassungswidrig geltende Referendum der Katalanen Erfolg haben, dürfte sich die Lage zuspitzen. Zudem ist noch ungewiß, welchen politischen Weg die Katalanen im Falle einer Loslösung künftig einschlagen werden. „Ob wir in der Nato bleiben wollen, ob wir den Euro als Währung behalten und ob wir der EU angehören, ist derzeit noch alles unklar“, sagt Anna Arqué. Aber: „Klar ist, daß bei uns das Volk die Entscheidungsgewalt über solche Fragen haben soll.“

Foto: Hunderttausende feierten vergangene Woche den Diada de Catalunya: Gut organisiert erschallt in Barcelona der Ruf nach Souveränität

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