© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/14 / 19. September 2014

Warten auf den Eisbrecher
FDP I: Nach den Wahlniederlagen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen flüchtet sich die Partei in Durchhalteparolen
Christian Schreiber

Am Tag danach präsentierte sich Christian Lindner betont kampfeslustig der (spärlich vertretenen) Hauptstadtpresse. „Nein“, sagte der FDP-Chef, „das Ende der Partei ist nicht gekommen. Wer uns abschreibt, macht einen großen Fehler.“ Viel mehr als Durchhalteparolen bleiben dem 35jährigen nicht mehr. Innerhalb von 14 Tagen flog seine Partei aus drei mitteldeutschen Landesparlamenten.

„Es war klar, daß wir es dort schwer haben würden, diese Länder waren in den vergangenen Jahren noch nie traditionelle FDP-Gebiete. Die Ergebnisse waren dann stark, wenn der Bundestrend gut war. Nun ist es eben umgekehrt“, sagte Lindner, und sein Stellvertreter Wolfgang Kubicki, zugleich Vorsitzender der Fraktion in Schleswig-Holstein, beeilte sich zu versichern, daß das Schicksal der FDP nicht bei diesen Wahlen besiegelt wurde. Lindner wird derweil nicht müde zu betonen, daß die Situation keine andere sei als 1999. Auch damals kassierte sie bei Europawahl und zahlreichen Landtagswahlen bittere Niederlagen, aber um die Jahrtausendwende verfügten die Liberalen noch über ein organisatorisches Rückgrat, das heute schmerzlich vermißt wird: die Bundestagsfraktion.

Die Kassen der Partei sind leer

Als sich die FDP vor rund einem Jahr mit 4,8 Prozent erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland aus dem Parlament verabschieden mußte, wurde dies noch als Betriebsunfall und gar Chance zur Regeneration abgetan. „Wir sind noch in neun Landesparlamenten vertreten, das reicht, um uns Gehör zu verschaffen“, sagte Lindner, kurz nachdem er die Führung der Partei übernommen hatte. Die FDP habe noch 67 Abgeordnete in Landtagen und Europaparlament sowie 57.000 Mitglieder: „Wir sind voll im politischen Geschäft“, erklärte er nun am Montag.

Doch innerhalb der Partei wachsen die Zweifel an einem Comeback. In Vorstandssitzungen klagte der Parteivorsitzende, daß er fast ausschließlich als Fraktionschef von Nordrhein-Westfalen wahrgenommen werde, zu seinen Hauptstadtterminen kämen kaum noch Journalisten. „Die Termine sind sehr unattraktiv geworden. Wir finden für die FDP-Artikel kaum noch Abnehmer. Die Partei spielt ja bundespolitisch keine Rolle mehr“, erzählt ein Korrespondent, der für mehrere Tageszeitungen aus Berlin berichtet. Manche Journalisten, die in ihren Redaktionen für die FDP zuständig waren, haben sich mittlerweile ein anderes Betätigungsfeld gesucht. Mancher kümmert sich jetzt statt um die Liberalen um die AfD.

Zur Bedeutungslosigkeit gesellt sich noch ein weiteres Problem: Die Kassen der Partei sind leer. Zwar gilt Schatzmeister Hermann Otto Solms als gewiefter Spendensammler, doch mit den Wahlniederlagen sind die Einnahmen rapide gesunken. Bei Landtagswahlen erhält jede Partei, die mehr als ein Prozent erzielt, 70 Cent pro Stimme. Alleine in Sachsen, Thüringen und Brandenburg verlor die FDP weit mehr als 200.000 Wähler – die Einnahmen fallen dort entsprechend um rund 140.000 Euro pro Jahr. Daß Schmalhans mittlerweile liberaler Küchenmeister ist, zeigt auch die Ausstattung der Bundesgeschäftsstelle in Berlin. Die Hälfte der Mitarbeiter wurde im vergangenen Jahr entlassen, im einst mondänen Thomas-Dehler-Haus nutzt die FDP nur noch eine halbe Etage. Mit dem Verlust der Bundestagsfraktion ist ein Großteil der Infrastruktur weggefallen. 1999, erzählte der frühere Parteivorsitzende Wolfgang Gerhard, habe die Partei über eine Machtbasis verfügt. Jeder Bundestagsabgeordnete habe Wahlkreisbüros unterhalten, teilweise seien die Landesgeschäftsstellen über einen Schreibtisch abgewickelt worden. Man habe sich Personal geteilt, um zu sparen, aber es sei eben welches dagewesen. Dies sei ein elementarer Unterschied zu heute.

In Berlin diskutierten die Gremien ausgiebig, ob sich die Partei einen Medienbeauftragten leisten könnte, im Saarland räumten die Liberalen die repräsentative Geschäftsstelle in der Innenstadt. „Die Luft ist raus“, sagte ein Landesvorsitzender, der ungenannt bleiben möchte, der JUNGEN FREIHEIT. Und intern wächst auch die Kritik an Lindner und Kubicki. Beide hätten keinen Zugang zur Basis in Mitteldeutschland gefunden und die Wahlen dort frühzeitig verloren gegeben. Die Fokussierung auf die Wahl der Hamburger Bürgerschaft im Februar sei ein Fehler gewesen, heißt es.

Lindner hat den Urnengang im Februar 2015 zur „Eisbrecher-Wahl“ ausgerufen und sein Vize Kubicki dort „liberales Grundgebiet“ ausgemacht. Doch kürzlich ist ausgerechnet in der Hansestadt der Streit zwischen der Fraktionsvorsitzenden Katja Suding und der Landeschef Sylvia Canel eskaliert. Canel trat aus und gründete zusammen mit anderen ehemaligen FDP-Politikern am Montag die Partei „Neue Liberale“. Dabei hatten Lindner und Kubicki eigenhändig versucht, das Hamburger Scharmützel zu befrieden – ohne Erfolg. Die Hamburger Liberalen starten nun mit einem Rumpfverband in den Wahlkampf und sehen sich zudem der Konkurrenz der auf einer Erfolgswelle schwimmenden AfD ausgesetzt. Daß wenige Wochen später bei der Wahl in Bremen etwas zu holen sein wird, glaubt ohnehin fast niemand.

Wolfgang Kubicki verschob die angekündigte Wende nun kurzerhand nach hinten, setzt auf 2016. „In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben wir Heimspiele“, glaubt er. Dabei vergaß er allerdings zu erwähnen, daß mit dem Rauswurf aus dem Mainzer Landtag vor drei Jahren die große Krise begann.

Foto: FDP-Chef Christian Lindner (l.) nach der doppelten Wahlniederlage: Zu FDP-Terminen kommen kaum noch Journalisten

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