© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/14 / 12. September 2014

Englisch als Lehrsprache in der Wissenschaft
Unabwendbarer Gang der Dinge
Robert Grözinger

Mit der geplanten Umstellung ihrer Master-Studiengänge auf englisch will die TU München offenbar zwei Ziele erreichen: erstens deutsche Studenten früh daran gewöhnen, in der modernen lingua franca wissenschaftlich auf hohem Niveau zu diskutieren; zweitens den Studienstandort für ausländische Studenten attraktiver machen.

TU-Präsident Wolfgang A. Herrmann hält die deutsche Sprache in den Naturwissenschaften, insbesondere den Ingenieurwissenschaften, für überholt. Das klingt brutal. Aber es entspricht der Wahrheit. Da hilft auch das Argument nicht, verschiedene Sprachen betrachteten den gleichen Gegenstand auf unterschiedliche Weise und daß deswegen eine Sprachenvielfalt in der Wissenschaft einen höheren Erkenntnisgrad brächte. Wenn Naturwissenschaftler die Praktikabilität einer gemeinsamen Sprache höher bewerten als die eventuell differenziertere Erkenntnis durch Sprachenvielfalt, dann wird die Entwicklung weiter in die Richtung einer Weltsprache gehen. Es wäre verschwenderisch, Steuergelder darauf zu verwenden, einen unabwendbaren Gang der Geschichte aufhalten zu wollen.

Kritiker wenden ein, im Fall der Übernahme des Englischen würde die TU München für deutsche Studenten unattraktiver und dafür um so attraktiver für ausländische Studenten. Das mag sein, ist jedoch ein Problem der Kostenlosigkeit und nicht der Sprache des Studiums. Dürften Universitäten den Konsumenten des Studiums einen größeren Teil der Kosten auferlegen, dann wäre nicht nur eine größere Gerechtigkeit gewährleistet, sondern es würde sich auch schnell zeigen, wie hoch die Nachfrage nach englischsprachigen Studiengängen wirklich ist.

Zurück zur realen, steuergeldsubventionierten Universitätswelt: Da Englisch die neue Weltsprache der Naturwissenschaft ist, wäre die Übernahme dieser Sprache an einigen deutschen Universitäten die klügste Strategie, Deutschland als Wissenschaftsstandort zu erhalten und zu stärken. Und zwar auf zweierlei Weise. Erstens: Wenn deutsche Studenten dadurch ein besseres, fachspezifisches Englisch lernen, werden sie sich noch effektiver am internationalen Austausch wissenschaftlicher Forschung beteiligen können als zuvor. Dabei können die Deutschen, nebenbei bemerkt, an sich froh sein, daß das Schicksal eine Sprache ausgewählt hat, die ihrer eigenen sehr ähnelt und daher für sie verhältnismäßig leicht zu lernen ist.

Wird darunter die spezifisch deutsche Denk- und Argumentationsweise leiden? Nicht notwendigerweise. Die meisten Menschen übertragen die Struktur ihrer Muttersprache wo es geht mehr oder weniger auf die Fremdsprache. Das der deutschen Sprache inhärente präzise Denken und Argumentieren muß nicht verlorengehen, wenn deutsche Wissenschaftler englisch sprechen. Wichtig ist jedoch, daß sie selbstsicher fachspezifisch englisch reden und schreiben können, sonst werden sie auf dem internationalen Parkett weniger präzise argumentieren und daher allenfalls die zweite Geige spielen können.

Zweitens: Wenn mehr ausländische Studenten hierher kommen, weil sie nicht zuerst neben Englisch eine weitere Fremdsprache lernen müssen, dann kann auch das nur gut sein für den Forschungsstandort Deutschland. Diese Studenten werden ja nicht hermetisch abgeriegelt, sondern sollen das Leben in Deutschland kennenlernen und später an anderen Orten Werbung für diesen Standort machen. Manche werden sogar für immer bleiben. Englischsprachige Master-Studiengänge werden mehr Spitzenkräfte nach Deutschland locken als jede andere staatliche Fördermaßnahme.

Englisch als neue „lingua franca“ der Naturwissenschaften ist eine Tatsache, an der keiner mehr vorbeikommt. Englische Master-Studiengänge können diese „lingua franca“ einerseits bereichern, andererseits den Wissenschaftsstandort Deutschland aufwerten.

Die oben beschriebenen Vorteile rein englischsprachiger Master-Studiengänge in Deutschland kommen nur dann zum Tragen, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens müssen die Lehrkräfte ein sehr gutes Englisch, auch Fachenglisch beherrschen. Sonst lernen die Studenten lediglich Fach-Pidgin, womit sie im Berufsleben keine großen Sprünge werden machen können. Zum anderen müssen die deutschen Studenten zuvor an den Schulen ein gutes Deutsch vermittelt bekommen, damit die Alleinstellungsmerkmale dieser Sprache auch dann noch wirken, wenn ihre Träger englisch sprechen.

Englisch als neue lingua franca der Naturwissenschaften ist eine Tatsache, an der keiner mehr vorbeikommt. Englische Master-Studiengänge in Deutschland können diese lingua franca einerseits bereichern, andererseits den Wissenschaftsstandort Deutschland aufwerten. Professor Herrmann ist daher für seine Initiative zu danken.

 

Robert Grözinger, Jahrgang 1965, studierte Wirtschaft in Braunschweig und Hannover. Der Diplom-Ökonom arbeitet in England als Lehrer für Wirtschaftswissenschaften, freier Journalist (u.a. für Eigentümlich frei) und Übersetzer. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über die Bedrohung der Freiheit durch staatliche Interventionen („Marx auf dem Vormarsch“, JF 29/13).

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