© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/14 / 12. September 2014

Die Zuwanderung setzt dem Sozialstaat Grenzen
Schweden: Kurz vor den Parlamentswahlen steigen die Schwedendemokraten in der Wählergunst – trotz Anfeindungen von allen Seiten
Sverre Schacht

Per Jimmie Åkesson weiß, was vielen seiner Landsleute auf der Seele brennt. Seine Worte zielen kurz vor der Parlamentswahl am 14. September auf das Herz des nordischen Sozialstaats: „Schwedens alte Menschen haben ihr Leben der Schaffung des Wohlstands gewidmet, den viele von uns als selbstverständlich ansehen. Es ist einer Wohlfahrtsgesellschaft unwürdig, daß jene, die im Alter Hilfe der Gemeinschaft brauchen, nicht einmal eine Pension beziehen, von der sie leben können“, erklärt der Parteichef der rechtskonservativen Schwedendemokraten (SD).

Die ausufernde Zuwanderung, eine öffentliche Debatte um Altersarmut und der angespannte Haushalt des Landes sowie Zuwanderergewalt bieten genug Angriffsfläche für den 35jährigen, der mit seiner Partei erstmals im Jahr 2010 mit 5,7 Prozent der Stimmen den Einzug in den Schwedischen Reichstag feierte. Laut Umfrage des Novus-Instituts für Meinungsforschung vom 2. September können die SD noch einmal mit prognostizierten 10,6 Prozent der Stimmen deutlich hinzugewinnen.

Milliardenloch in der Migrationskasse

Entsprechende Umfragewerte der liberal-konservativen Minderheitsregierung bescheinigen lediglich den Moderaten einen möglichen Zuwachs von zwei Prozent auf 23,3, während konservative Volkspartei (6,4; -0,4) und Zentrum (5,3; -0,7) Verluste zu erwarten haben. Lediglich die Christdemokraten können mit einem minimalen Plus (4,4; 0,1 Prozent) rechnen. Auch dem lange als Sieger vorhergesagten rot-grünen Lager kommen die Unterstützer abhanden: Die Sozialdemokraten verlieren zwei (30,2), die Umweltpartei einen Prozentpunkt (9,6), nur die Linke gewinnt 0,4 Prozentpunkte (7,1).

Åkesson setzt in dem allgemein von Ausgrenzung der SD geprägten Wahlkampf auf Alternativen zu den etablierten Parteien, denen er den Spiegel vorhält. „Für Milliarden Menschen auf der Welt wäre es wahrscheinlich besser, nach Schweden zu kommen“, stichelt er und fordert eine Begrenzung der Zuwanderung, die für das Jahr 2014 mit Kosten in Höhe von 25 Milliarden Kronen zu Buche schlage, um 90 Prozent.

Die Daten der schwedischen Zuwanderungsbehörde Migrationsverket sprechen für sich. Rechnete sie zu Beginn des Jahres noch mit 57.000 bis zu 70.000 Zuwanderern, korrigierte sie die Zahl nun auf mehr als 80.000 und verlangt zur Bewältigung des Flüchtlingsproblems zusätzliche 48 Milliarden Kronen (5,2 Milliarden Euro) für die nächsten vier Jahre.

Wasser auf die Mühlen der SD. Doch auch die Regierung gerät angesichts der Problematik mehr und mehr unter Druck. Den Stein ins Rollen brachte Finanzminister Anders Borg (Moderate), als er die geringen Spielräume des angespannten Haushalts zeitgleich mit dem „substantiellen Anstieg der Kosten für Migration und Asylverfahren“ in Verbindung brachte. Parallel dazu stellte Borg die Entscheidungsfrage, für deren klare Formulierung die SD von Medien und etablierten Parteien gescholten werden: Entweder Geld für verarmte Rentner oder für Zuwanderer.

Dagegen setzt Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt (Moderate) auf Kontinuität und beschwört die „Humanitäre Großmacht“ Schweden: „Öffnet eure Herzen für alle, die aus Angst um ihr Leben zu uns fliehen.“ Den Ball nahm Jimmie Åkesson begierig auf und twitterte genüßlich: „Der Ministerpräsident hat es bestätigt: Sozialstaat oder Masseneinwanderung. Du hast die Wahl.“

Überhaupt sucht der 35jährige den vielfältigen Ausgrenzungsstrategien mit Witz und Charme zu begegnen. So rief Åkesson zu Geldspenden für das Flüchtlingshilfswerk UNHCR auf. Wäre dies doch ein guter Weg, um Schwedens Zuwanderungskosten zu minimieren. Die Schwedendemokraten hatten sich den Unmut des UNHCR-Europachefs Vincent Cochetel zugezogen, indem sie sich in ihrem politischen Kampf gern auf die Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR bezogen. Hatte es nicht immer behauptet, daß Schweden von allen europäischen Ländern, gemessen an der Einwohnerzahl, nach Malta, die meisten Flüchtlinge aufnehmen würde?

Weder Witz und Esprit, weder die Präsentation von Fakten, weder die Null-Toleranz-Erklärung gegenüber Rassismus der SD im vergangenen Jahr, die zu Dutzenden Parteiausschlüssen führte, noch der dicke Trennstrich zu Front National, FPÖ und Geert Wilders im Anschluß an die Europawahl – die Schwedendemokraten gelten noch immer als politische Schmuddelkinder der Nation. Entsprechend schwierig gestaltete sich auch deren Wahlkampf. Öffentliche Auftritte konnte die Partei aus Sicherheitsgründen oft nur sehr kurzfristig anberaumen.

Schwedendemokraten werden strikt ausgegrenzt

Auch schließt ein Großteil der Gewerkschaften des Landes Mitglieder der SD von Vertrauenspositionen aus. Und wie die Stockholmer Tageszeitung Dagens Nyheter unter Verweis auf eigene Recherchen berichtete, wollen auch knapp die Hälfte der parteiunabhängigen Verbände, darunter die Polizeigewerkschaft, keine SD-Parteimitglieder in Führungspositionen.

Doch all die Ausgrenzungsstrategien ändern laut dem finanzpolitischen Sprecher der SD, Oscar Sjöstedt, nichts am dringenden Reformbedarf des Sozialstaats Schweden. Großes Einsparpotential gebe es beim Thema Migration/Integration – laut Parteirechnung könnten 2015 bis 2018 152 Milliarden Kronen (rund 16,5 Milliarden Euro) gespart werden –, und in der Steuerpolitik. Entsprechend fordern die Schwedendemokraten eine spezielle Bankensteuer, die Abschaffung von Ermäßigungen für Jugendliche, ein Ende der Biospritförderung, die Modifizierung der Entwicklungshilfepolitik sowie eine Reform der Arbeitslosenversicherung. In diesem Kontext kritisieren die SD nicht nur den Anstieg der Arbeitslosigkeit von sechs auf acht Prozent, sondern vor allem die Erhöhung der Jugendarbeitslosigkeit um fast vier Prozentpunkte auf nunmehr knapp 24 Prozent.

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