© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/14 / 12. September 2014

Wahhabiten erobern Bosnien
Besuch in Sarajevo und Umgebung: Im verborgenen blüht ein von Saudi-Arabien unterstützter Fundamentalismus / Bosnische Behörden zeigen sich überfordert
Carl Gustav Ströhm

Beim Flanieren durch die Gassen Sarajewos macht die Hauptstadt Bosniens einen sehr liberalen und weltoffenen Eindruck. Neben den Zeugnissen der osmanischen und österreichischen Architektur flanieren die schönen bosnischen Frauen, und die Horden amerikanischer Touristen vergnügen sich beim Biertrinken.

Doch der Blick trügt. Vor dem Hintergrund der politisch und wirtschaftlich schwierigen Lage im Land zeigte sich vor allem der als stets liberal geltende Islam in Bosnien als ein unfreiwilliger Wegbereiter islamistischer Organisationen und Sekten. Die Gefahr, daß vor der Türschwelle der EU zu allem entschlossene und gut ausgebildete Gotteskrieger gegen das verhaßte Abendland in den Kampf ziehen könnten, kann gerade aus dem Stadtbild Sarajevos herausgelesen werden.

Eher schleichend haben sich die Wahhabiten, eine fundamental-traditionalistische Richtung des sunnitischen Islams, immer mehr in das weltoffene Stadtbild eingefügt.

Die Anhänger des Wahhabismus nehmen für sich in Anspruch, die islamische Lehre authentisch zu vertreten, indem sie sich strikt gegen Heiligenverehrung, Wallfahrten zu Gräbern und sogar gegen das Feiern des Geburtstages des Propheten Mohammed aussprechen.

Glaubensauffassungen, die mit dem Wahhabismus nicht vereinbar sind, werden von ihnen in der Regel als unislamisch deklariert. Die Merkmale eines bekennenden Wahhabiten: langer Bart nebst vollverschleierter Frau.

Fuß faßte der Salafismus, in dem Land mit einem Bevölkerungsanteil von 44 Prozent Moslems, während des Bosnienkrieges (1992–1995). In ihrer schieren Ausweglosigkeit im Kampf gegen die Serben wandten sich die moslemischen Bosniaken an die von Saudi-Arabien finanzierten Islamisten, die heute in den Dörfern rund um Sarajevo, Zenica, Bihać oder Brčko siedeln.

Sicherheitskräfte meiden Wahhabiten-Zentren

Vor allem junge bosnische Moslems fühlen sich von den Lehren von Muhammad ibn Abd al-Wahhab angesprochen. Ohne Zukunftsperspektive, zeigen sie sich offen für saudische Angebote. Das wahhabitische Königreich zeigt seit langem ein reges Interesse, im Land Moscheen und Koranschulen zu bauen, die größtenteils als Rekrutierungsstätten dienen. So bieten die Saudis beispielsweise monatlich rund 400 US-Dollar, wenn sich der Interessent zum wahhabitischen Glauben bekennt – Geld das einem durchschnittlichen Monatslohn in Bosnien entspricht. Auch die US-Amerikaner rekrutieren angeblich fleißig Wahhabiten mit stattlichen Summen, um diese als Informanten einzusetzen.

Längst sind die Dörfer, in denen sich die Wahhabiten aufhalten, unberechenbares Territorium für die Polizei. Bei einem Besuch beim Barbier erfahre ich, daß die momentane Lage besonders prekär sei. In seinem Dorf sei ein junger Mann beigesetzt worden, der in Syrien auf seiten des Islamischen Staates (IS) kämpfte.

Durch die Rufe der extremistischen Glaubensbrüder in Syrien und Irak, unterstützt von Dschihadaufrufen des bosnischen salafistischen Predigers Bilal Bosnić, sehen sich junge bosnische Moslems zunehmend ermuntert, den IS und seinen Kampf aktiv zu unterstützen.

Mittlerweile sollen sich rund 50 bosnische Staatsangehörige im Irak befinden, die in den Reihen des IS kämpfen. Weitere 39 befänden sich laut den Sicherheitsbehörden bereits wieder in Bosnien.

Der Weg der potentiellen Kämpfer ist einschlägig bekannt. Über Wien, Istanbul und sich anschließende „geheime Kanäle“ werden die Aspiranten in die entsprechenden Krisengebiete geschleust. Während ihres Aufenthaltes in Wien, so die österreichischen Sicherheitsbehörden, erhalten sie Bargeld in Höhe von rund 10.000 Euro plus eine Söldnerpauschale von 2.000 Euro pro Monat. Laut amerikanischem Geheimdienst gilt Wien als Zentrum des wahhabitischen Terrorismus und entscheidende Schaltstelle für Kämpfer aus Südosteuropa.

Zwar hat die Regierung mittlerweile ein Gesetz erlassen, daß jeder bosnische Staatsangehörige, der bei international als terrororistisch eingestuften Organisationen in Kampfeinsätze verwickelt wurde, mit zehn Jahren Haft rechnen muß. Dennoch ziehen immer wieder bosnische Wahhabiten nach Syrien oder in den Irak und kommen als gutausgebildete Kämpfer in ihr Land zurück.

Foto: Die zwei Seiten Sarajevos: Touristisches , westlich geprägtes Treiben im Zentrum der bosnischen Hauptstadt (l.) und fundamentalistisches Leben an der Peripherie

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