© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/14 / 12. September 2014

Im Bann der schwarzen Fahne
Terrorismus: Auch in Deutschland wirbt der „Islamische Staat“ immer offener um neue Anhänger
Christian Schreiber

Es war eine ganz gezielte Provokation. In der vergangenen Woche tauchte auf Facebook ein Bild auf, das die deutschen Sicherheitsbehörden in Alarmbereitschaft versetzte. Zwölf Islamisten posierten auf dem Pariser Platz in Berlin-Mitte. Im Hintergrund waren die amerikanische Botschaft sowie das Brandenburger Tor zu sehen. Die Gruppe zeigte eine schwarze Flagge mit dem islamischen Glaubensbekenntnis, und einige von ihnen hielten den rechten Zeigefinger gestreckt – das Zeichen der Isis, der Terrorgruppe Islamischer Staat, die im Irak für zahlreiche Greueltaten verantwortlich ist.

„Wir müssen die Umtriebe stoppen“

Der Vorfall in Berlin ist nicht der erste öffentliche Auftritt der Gottes-krieger, die Flagge der Isis wehte im Juni wochenlang unbehelligt über einem Dach in der saarländischen Hauptstadt Saarbrücken. In Berlin geben sich die Behörden bis dato ahnungslos. Organisierte Aktionen der Isis in der Bundesrepublik seien bisher nicht belegbar. Dagegen schrieb das Boulevardblatt B.Z., die Personen auf dem Pariser Platz seien den amerikanischen Geheimdiensten namentlich bekannt.

Schon vor zwei Monaten berichtete der Spiegel, daß sich die radikalen Islamisten auch in Deutschland auf Werbetour befänden. So archaisch die Ziele der Gotteskrieger anmuten, so modern seien ihre Kommunikationsstrukturen. Aktionen aus Kampfgebieten im Irak werden via Twitter und Youtube verbreitet, auch Facebook gewinnt offenbar mehr und mehr an Bedeutung. Das Berliner Foto wurde von einer Seite namens „Islamischer Staat Berlin“ aus verbreitet, die wenige Tage später vom Betreiber gesperrt wurde.

Insgesamt sollen derzeit mehr als 50.000 Personen für die Isis kämpfen, rund 2.000 von ihnen stammen aus Europa. Wie viele Moslems aus Deutschland unter ihnen sind, ist nicht geklärt, der Verfassungsschutz geht derzeit von rund 400 aus. Sicherheitskreise befürchten, daß diese nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik Anschläge verüben könnten, der Krieg im Irak könnte zu einem globalen Problem werden.

Peter Neumann, Terrorismus-Experte am renommierten Londoner Kings College in London, sagte der Bild-Zeitung: „Diese Kämpfer aus dem Westen begehen die brutalsten Taten, weil sie ideologisch besonders motiviert sind. Es ist nicht auszuschließen, daß sie den Konflikt mit in ihre Ursprungsländer nehmen.“ Der Wissenschaftler vergleicht das Erstarken der Isis mit der al-Qaida, die infolge des Afghanistan-Konfliktes entstand: „Jetzt entsteht eine neue, junge al-Qaida. Die Isis-Kämpfer sind zum Teil erst 17 Jahre alt. Wir müssen fest damit rechnen, daß zumindest eine Minderheit davon früher oder später auch in Europa terroristisch aktiv werden wird.“

Anzeichen für Aktivitäten in Deutschland wurden kürzlich aus Hamburg gemeldet. Über 30 Salafisten sind nach Verfassungsschutzangaben bislang aus Hamburg nach Syrien oder in den Irak aufgebrochen. Der NDR berichtete von drei Hamburger Familien, die sich an die Öffentlichkeit wandten, weil ihre Söhne sich den Terroristen angeschlossen haben. Mahmut Erdein, ein Rechtsanwalt aus der Hansestadt, erhob in dem TV-Bericht schwere Vorwürfe gegen die deutschen Behörden, warf ihnen Handlungsunfähigkeit vor. Seiner Meinung nach spielen die Moscheen eine wichtige Rolle: „Das sind die Anwerbezentren für die Isis. Und die Jugendlichen, die ihren Glauben ausleben wollen, gehen zur Moschee, beten und wollen sich dort wiederfinden. Und da werden sie angeworben.“ Die türkischstämmige Kommunalpolitikerin Gülnur Can von den Grünen fordert die Öffentlichkeit auf, sich für das Thema zu interessieren. „Wir müssen die Umtriebe stoppen. Wir müssen die Eltern sensibilisieren. Sie müssen ihre Kinder den Behörden melden, wenn sie den Eindruck haben, daß sie in falsche Kreise geraten. Alles ist besser, als daß sie zu Isis-Kämpfern werden.“ Dabei ist es vor allem aber ihrer Partei zu verdanken, daß die Gotteskrieger in der Bundesrepublik mehr oder weniger ungehindert für sich werden dürfen. Der Bundestag beschloß im Sommer 2002 unter dem Eindruck der Terroranschläge in den Vereinigten Staaten einen Gesetzentwurf, der die strafrechtliche Verfolgung von Mitgliedern und Unterstützern ausländischer terroristischer Vereinigungen möglich machte. „Die Strafbarkeit von Sympathiewerbung im Inland für kriminelle oder terroristische Vereinigungen des Auslands wurde jedoch im gleichen Zuge abgeschafft – auf Betreiben vor allem der Grünen“, erinnerte die Welt in der vergangenen Woche.

Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestags, trommelt nun für eine rasche Neuregelung. Er sei der festen Überzeugung, daß „es sich bei der Organisation Islamischer Staat zweifelsfrei um eine terroristische Organisation handelt, die auch in Deutschland Unterstützung erfährt“. Das Problem dabei: Ein Organisationsverbot in Deutschland kommt erst dann in Frage, wenn man der Isis hierzulande konkrete Strukturen nachweisen kann. „Und da stehen wir erst am Anfang. Es fehlen verwertbare Erkenntnisse“, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer (CSU), der Welt.

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