© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/14 / 12. September 2014

„Das ist unsere Chance!“
Die 23jährige Studentin Miriam Brett kämpft als Aktivistin der „Generation Yes“ für ein unabhängiges Schottland
Moritz Schwarz

Miriam, noch sechs Tage ...

Miriam: Ich bin sicher, wir schaffen es!

... dann endet möglicherweise Schottlands 307jährige Abhängigkeit von London. Klappt das?

Miriam: Ja, denn dies ist inzwischen längst keine Kampagne mehr, sondern eine Bewegung! Eine Bewegung für ein großes Ziel! Ich liebe es! Es ist so inspirierend. Wenn es geschafft ist, werde ich erstmal eine Woche durchschlafen. Aber bis dahin werde ich kämpfen!

Warum wünschen sich so viele junge Schotten einen eigenen Nationalstaat?

Miriam: Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, es geht um Demokratie, um soziale Sicherheit, Gerechtigkeit, Bildung und eine eigene Außenpolitik.

Was ist mit nationaler Identität?

Miriam: Derzeit werden wir noch von der politischen Kultur Westminsters dominiert. Was kein Wunder ist, weil die Schotten nur etwa acht Prozent der britischen Bevölkerung ausmachen. In Zukunft aber wird Platz für unsere eigene politische Kultur sein.

Die allerdings erscheint aus deutscher Sicht eher links geprägt.

Miriam: Die Bewegung ist in der Tat eher internationalistisch und keinesfalls nationalistisch. Deshalb finde ich es auch absurd, wenn uns Kritiker, die sich selbst als Zeichen ihres Bekenntnisses zu Großbritannien in den Union Jack – die britische Flagge – hüllen, Nationalismus vorwerfen.

Ein unabhängiges Schottland soll also multikulturell sein?

Miriam: Ja, wir wollen Großbritanniens Antiimmigrationsstandards hinter uns lassen und eine echte Willkommenskultur entwickeln, eine Gesellschaft der Inklusion, mit sozialer Gerechtigkeit, Wohlfahrtsstaat und dem Menschenrecht auf Bildung.

Was ist mit der stolzen schottischen Geschichte und dem Kampf um nationale Unabhängigkeit? Was ist mit William Wallace, Robert the Bruce und Bonnie Prince Charlie?

Miriam: Ich muß zugeben, da kenne ich mich nicht so gut aus. Und das spielt in der Bewegung auch keine große Rolle. Da geht es eigentlich nicht um Geschichte, sondern um Zukunftsfragen.

Von außen wirkt die Bewegung allerdings sehr national, ständig sind schottische Flaggen mit dem Andreaskreuz, Kiltträger und Männer in Highlander-Kluft zu sehen.

Miriam: Ja, das Problem ist, daß die Medien nicht so ausführlich über unsere Bewegung berichten und wir oft unwidersprochen als Nationalisten dargestellt werden. Doch nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt als das.

Wenn es also um Multikulturalismus geht, warum wollt Ihr dann die Engländer heraushalten? Fangt doch im kleinen an und bleibt britannisch.

Miriam: Die ganze Sache hat nichts mit England oder den Engländern zu tun. Ich bin selbst englisch, da ein Elternteil englisch ist. Es geht allein um Westminster. Wir sind, wie gesagt, eine weltoffene, internationalistische Bewegung.

Also geht es eigentlich gegen den englischen Konservatismus?

Miriam: Nochmal: Mit den Engländern hat das nichts zu tun. Es geht um Demokratie. Dies ist eine Graswurzelbewegung und wir wollen selbst über unsere Geschicke bestimmen.

Wird nicht bald Edinburgh – Schottlands Hauptstadt – das neue Westminster sein? Die schottische Schriftstellerin A. L. Kennedy sagt: „Es wird ein Desaster, weil auch danach Politiker das Sagen haben werden.“

Miriam: Wir versprechen ja nicht, daß alles besser wird. Wir sagen aber, daß dem Wechsel eine Chance innewohnt: unsere Chance für ein neues Schottland!

 

Miriam Brett, die Politikstudentin gehört zur „Generation Yes“, der Jugendorganisation von „Yes Scotland“. Geboren wurde sie 1991 auf den schottischen Shetlands.

www.yesscotland.net 

www.genyes.org

 

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