© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/14 / 05. September 2014

Schneisen im kosmologischen Fragenwald
Dunkle Energie: Internationale Forschungsanstrengungen wollen das Rätsel lösen
Christoph Keller

Nicht gewohnt, in weiten historischen Horizonten zu denken, tut sich die Menschheit schwer, ihr Verhalten zu ändern, um die prognostizierten schlimmen Folgen des Klimawandels bis zur nächsten Jahrhundertwende abzumildern.

In verblüffendem Kontrast zu dieser Zukunftsblindheit steht die enorme Faszination, die die mit Jahrmilliarden jonglierende Kosmologie weltweit ausübt. Und zwar keineswegs nur auf jene zahllosen Sternengucker, die Teleskope auf häuslichen Dachböden installieren. Kosmologie ist vielmehr international als wissenschaftlicher Großbetrieb organisiert. Berücksichtigt man neben immer üppiger instrumentierten astronomischen Instituten und Observatorien auch das gesamte Ensemble der Raumfahrt seit 1957, verschlang wohl kein anderer Forschungszweig ähnlich hohe Steuermittel – Investitionen, die politisch selten zur Disposition standen.

Dehnt sich nur die Milchstraße aus?

Deswegen stoppen auch die aktuellen Kalamitäten mit Rußland nicht das deutsch-russische Gemeinschaftsprojekt eRosita, die Entwicklung eines Röntgeninstruments am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching, das im All dazu beitragen soll, das Rätsel der „Dunklen Energie“ zu lösen. Flankiert wird dieses Unterfangen von einer eben gestarteten fünfjährigen kosmologischen Beobachtungskampagne am chilenischen Observatorium Victor M. Blanco sowie dem im Bau befindlichen ESA-Satelliten Euclid.

Ob diese neuerlichen finanziellen Opfer lohnen, steht nach Einschätzung der Heidelberger Astrophysiker Elena Sellentin und Matthias Bartelmann im wahrsten Sinne des Wortes in den Sternen (Spektrum der Wissenschaft, 8/2014). In den Wald kosmologischer Fragen, die 1998 die Entdeckung eines beschleunigt expandierenden Universums aufwarf, dessen „Treibstoff“ eine unbekannte, „dunkle“ Energieform sein müsse, dürften die jüngsten Projekte allenfalls eine schmale Schneise schlagen.

Erfüllen sich die am weitesten gesteckten Erwartungen, könnten die Ermittlungen von eRosita, Euclid und anderer die Hypothese festigen, daß sich die beschleunigte Expansion des Universums auf die Umgebung unserer Heimatgalaxie beschränkt. Das Universum wäre dann aber nicht so homogen, wie es das kosmologische Standardmodell beschreibt.

Aus derart „unbehaglichen“ Diskrepanzen zwischen Theorie und empirischen Befunden würde die Hypothese unendlich vieler Subuniversen, unter denen unsere Milchstraße nur eines ist, befreien. Demnach treibt die „abstoßende Schwerkraft“ der Dunklen Energie nicht „das“ Universum, sondern „nur“ das winzige Milchstraßensegment auseinander. Aber nicht einmal dieser Prozeß scheint unabänderlich abzulaufen, da Sellentin und Bartelmann auf Daten spekulieren, die auf „ein ganz anderes Schicksal des Universums“ hoffen lassen. Anders als beim Klimawandel besteht indes kein akuter Handlungsbedarf, da mit dem größten anzunehmenden kosmologischen Unfall erst in sechs Milliarden Jahren zu rechnen ist.

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