© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/14 / 05. September 2014

Schwindende Kultur der Selbständigkeit
Mittelstandsforschung: Bürokratie und Markteingri_ e bereiten kleinen Unternehmen die größten Sorgen
Christian Schwiesselmann

Das Bonner Institut für Mittelstandsforschung (IfM) hat sich unter der Ägide seiner seit 2013 amtierenden Präsidentin Friederike Welter, der stellvertretenden Geschäftsführerin Rosemarie Kay und der Pressesprecherin Jutta Gröschl in einen veritablen „Hühnerstall“ verwandelt: Mehr als die Hälfte der 24 wissenschaftlichen Mitarbeiter sind weiblich, auf der Forschungsagenda stehen Studien über „genderspezifische Modelle in der Gründungsforschung“ und Konferenzen über das „Unternehmerinnenbild 25 Jahre nach dem Mauerfall“.

„Ob Frauen bereit sind, eine eigene Gründung anzugehen, hängt zum einen von der jeweiligen Lebenssituation und -phase – zum anderen aber auch von ihrem Umfeld ab“, lauten die fast schon trivialen Forschungsergebnisse. Ein „Working Paper“ über den „Einfluß des Geschlechts des Übergebers auf die Wahl des familieninternen Nachfolgers“ kommt zu dem wenig erstaunlichen Schluß: „Angehende weibliche Übergeber präferieren – genau wie ihre männlichen Pendants – einen Nachfolger des eigenen Geschlechts.“ Männer wollen ihre Söhne in ihre Fußstapfen treten sehen, Frauen ihre Töchter. Viel Gackerei, selten ein Ei und kein Hahn kräht danach – andere Forschungseinrichtungen haben dem IfM längst den Rang abgelaufen.

Politische Vorgaben verdunkeln Zukunft

Handfester kommt das jüngst veröffentlichte „Zukunftspanel Mittelstand“ daher, in dem die Bonner Forscherinnen Friederike Welter, Eva May-Strobl, Nadine Schlömer-Laufen, Kerstin Ettl und ihr männlicher Kollege Peter Kranzusch die Herausforderungen des deutschen Mittelstandes zusammengetragen haben. Dazu befragten sie insgesamt 180 Experten aus Wirtschaft, Wirtschaftspolitik und Wissenschaft, von denen in der ersten Runde 107 und in der zweiten Runde 78 antworteten. Ihr Befund: Die kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland sorgen sich vor allem um die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland. So beklagten die Befragten, daß politische Interventionen die Marktwirtschaft immer weiter einengen. Die „Flut an technischen Regelungen, Zulassungen, Zertifizierungen etc. schafft hohe Marktzugangsbarrieren, die den Wettbewerb erschweren“. Zudem benenne die EU-Gesetzgebung „Pflichten für Wirtschaftsteilnehmer, ohne sie einem Glied in der Lieferkette (Hersteller, Importeur, Handel) eindeutig zuzuordnen. Das verursacht Rechtsunsicherheit, unnötigen Aufwand und erschwert die Umsetzung“. Bürokratie und eine schwindende Kultur der Selbständigkeit verdunkelten die Zukunftsaussichten des Mittelstandes. Es werde kaum investiert. Der Kapitalstock sinke seit zehn Jahren.

Dagegen rangiert der vielbeschworene Fachkräftemangel nur im Mittelfeld auf der Problemliste des deutschen Mittelstandes. Stattdessen fürchten die Unternehmer die EU-Finanzmarktregulierung, die dazu führe, daß sich die „Renditen der europäischen Staatsanleihen angleichen“ und „der deutsche Finanzierungsvorteil reduziert“.

Angst machen auch die Wettbewerber aus China, die dank niedriger Lohn- und Energiekosten Vorteile haben: „Ich denke, es wird aufgrund der ausländischen Konkurrenz in der Zukunft immer schwieriger, Marktanteile zu halten bzw. neue Märkte zu erschließen. Die Konkurrenz holt bezüglich der Qualität der Produkte immer mehr auf und hat zudem oft bereits einen Kostenvorsprung“, meint ein Befragter. Asiens Vorsprung basiert vor allem auf einem gigantischen Pool an Fachkräften, der wegen der demographischen Entwicklung weiter anwachsen dürfte. Während in Deutschland die gründungsstarken Jahrgänge zwischen 25 und 44 ausdünnen, wird es im Jahr 2050 etwa eine Million weniger Unternehmen geben – ein Minus zu heute von 25 Prozent. „Gleichzeitig werden in den Schwellenländern immer mehr Unternehmen gegründet – in China kann sich jeder zweite Erwerbsfähige eine Unternehmensgründung vorstellen, hierzulande gerade gut ein Viertel“, referiert ein anderer Experte: „Deutschland droht Innovationspotential zu verlieren und an Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen.“

Bei der Wahrnehmung der Herausforderungen weichen die drei Gruppen der Befragten zum Teil deutlich voneinander ab: Während die Wirtschaftsvertreter den Mindestlohn und die Kostenbelastung aus der Energiewende als besonders problematisch einschätzen, hängen die Steuergeldfinanzierten Befragten aus Wissenschaft und Politik die Themen tiefer. Sie setzen eher auf Zeitgeistmoden wie „nachhaltiges Wirtschaften“, das wiederum die Praktiker nicht für relevant erachten.

Praktiker interessiert Nachhaltigkeit kaum

Die feministisch inspirierten Forscherinnen gewichten die Zukunftsthemen indessen vollkommen anders: Da schwere „physische Arbeit“ weiter „zurückgedrängt“ werde, rückten weiche Frauenfragen in den Fokus des Mittelstandes. Das ermögliche „eine bessere Work-Life-Balance und neue Arbeits-/Geschäfts-/Gründungsmodelle, stellt aber auch aus unserer Sicht die Frage nach Diversity Management neu und drängender als dies die Bewertungen unserer Experten erkennen lassen“. Die Autoren um IfM-Präsidentin Friederike Welter, die an der Universität Siegen BWL lehrt, machen aus ihren Herzen keine Mördergrube und setzen explizit auf eine Umkehrung der Themenkonjunktur.

 

Rangfolge aufgrund einer Befragung von 180 Experten

Rahmenbedingungen mittelstandsfreundlich ausgestalten

Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit sichern

Digitalisierung in Unternehmensprozesse einbinden

Fachkräftebedarf decken

Finanzierung sichern

Internationalisierungschancen nutzen

Unternehmensbestand sichern und weiterentwickeln

Nachhaltig wirtschaften

Das Zukunftspanel Mittelstand. Eine Expertenbefragung zu den Herausforderungen des Mittelstandes, IfM-Materialien, Nr. 229

www.ifm-bonn.org

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