© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/14 / 05. September 2014

Andrea Nahles will Streß gesetzlich verbieten
Klientelpflege
Jörg Fischer

Akkordlöhner, Versandarbeiter bei Amazon, Zalando & Co., Vertreter, die von Termin zu Termin hetzen, Ärzte und Schwestern in der Notaufnahme oder Kassiererinnen – sie alle haben Streß, viel Streß. Sie würden sich über das bundesweite Anti-Streß-Gesetz freuen, das Arbeitsministerin Andreas Nahles demnächst aus dem Hütchen zaubern möchte.

Doch darum geht es der früheren SPD-Generalsekretärin in Wahrheit nicht. Die 44jährige Parteifunktionärin, die ihr bisheriges Arbeitsleben nach zehn Jahren Studium an der Uni Bonn praktisch nur in der Politik verbracht hat, ist auch Mitglied der IG Metall. Und diese DGB-Gewerkschaft hat bereits vor zwei Jahren eine Anti-Streß-Verordnung vorgestellt: „Zur Vermeidung von Gefährdungen durch psychische Belastung“ seien „die Arbeitsaufgabe, die Arbeitsorganisation, die sozialen Beziehungen, die Arbeitsplatz- und Arbeitsumgebungsbedingungen sowie die Arbeitszeit“ gemäß dem „Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene zu gestalten“, heißt es darin. Beamte, öffentlich Bedienstete mit Festanstellung oder die IG-Metall-Klientel in Großunternehmen könnten dann beispielsweise die „Ausgeglichenheit des Arbeitsanfalls über die gesamte Arbeitszeit hinweg“ verlangen. Für Arbeitsrechtler gäbe es viel zu klären, etwa ob durch eine „permanente Erreichbarkeit durch moderne Kommunikationsmittel“ die „ausgewogene Aufeinanderfolge von Arbeitszeit und Freizeit“ beeinträchtigt wird.

Für die weniger privilegierten Leiharbeiter, die Brummifahrer mit engen Lieferzeiten oder die Angestellten mit Zeitvertrag bleibt ein Anti-Streß-Gesetz bloße Theorie – wenn sie ihre Leistung nicht schaffen, dann drohen in der Praxis Arbeitslosigkeit und letztlich Hartz IV, denn im Zweifel werden eben „ausländische Fachkräfte“ engagiert. Und die 60-Stunden-Woche von Selbständigen würde trotz Gesetz auch nicht kürzer. Andrea Nahles betreibt nichts weiter als sozialdemokratische Klientel- und Symbolpolitik.

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